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Der türkische Premier Erdogan.
© AFP

Wahl in der Türkei: Erdogan geht durch die Wand

Erdogan will Präsident der Türkei werden, um dem Land endgültig seinen Stempel aufzudrücken. Das Problem ist, dass er keine Skrupel hat – das schadet inzwischen auch seinem Einfluss in der Welt. Ein Kommentar.

Die in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger hatten bereits die Wahl. Ihre Landsleute in der Heimat stimmen am 10. August ab. Zum ersten Mal wird der Präsident der Türkei vom Volk direkt gewählt. Es wird eine völlig neue Form der Präsidentschaft sein: Nicht mehr repräsentativ wie bislang, sondern mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, wie in Frankreich oder Russland. Auch der Name des neuen Präsidenten steht schon fest. Nicht etwa, weil die Wahl nicht rechtsstaatlichen Voraussetzungen genügen wird, sondern weil einer antritt, den seine zahlreichen Anhänger schon jetzt wie einen Heilsbringer umjubeln.

Keiner polarisiert aber auch die Gesellschaft so wie Recep Tayyip Erdogan, an dessen Wahlsieg es keinen Zweifel gibt. Zu sehr dominiert der langjährige Regierungschef, der nach drei Amtszeiten nicht mehr als Ministerpräsident antreten darf, die politische Szene seiner Heimat. Genau das ist sein Problem, ist das der Türkei von heute. Kein Politiker seit Kemal Atatürk hat das Gesicht der modernen Türkei so geprägt wie Erdogan. Der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung ist vor allem ein Verdienst des Mannes, der sich mit seiner Partei, der AKP, gegen die korrupten Machteliten durchgesetzt und das permanent Putsch-bereite Militär in die Kasernen zurück geschickt hat.

Aber der Erdogan der letzten Jahre ist nicht mehr der Modernisierer, der wie Atatürk ein modernes, konkurrenzfähiges Land wollte. Anders als Atatürk will der streng gläubige Erdogan keinen laizistischen, sondern einen islamischen, manche glauben sogar: einen islamistischen, Staat. Geradezu dramatisch verschärft wird dieser die moderne und die ländliche, eher zurückgebliebene Türkei spaltende Dissens, weil Erdogan zunehmend demokratiefeindlich agiert. Die Menschen sind nicht länger bereit, sich vom Mann an der Spitze der Regierung und bald auch des Staates wie unmündige Kinder behandeln zu lassen. So wie Erdogan in seinem Sendungsbewusstsein keine Skrupel hat, innenpolitischen Widerspruch platt zu walzen, zerschlägt er auch das außenpolitische Ansehen, das er sich erarbeitet hat.

Erdogans Ziel: Die Türkei als Führungsmacht im arabisch-islamischen Raum

Die herausragendste Leistung war dabei sicher die Aussöhnung mit den Kurden im Südosten des Landes und die damit verbundene Annäherung an die Kurden im Nordwesten des Irak. Dass die Türkei klaglos fast 1,4 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat, müsste die ob der Asylsuchenden aus Afrika klagenden Mitteleuropäer beschämen. Diese Großzügigkeit Erdogans ist auch Teil des großen außenpolitischen Zieles, Führungsmacht im arabisch-islamischen Raum zu werden. Die damit verbundene Abwendung von Europa war ein nachvollziehbarer Reflex auf die hinhaltende Weigerung der EU, glaubhaft an einer Beitrittsperspektive für die Türkei zu arbeiten.

Allerdings hat Erdogan durch seinen Mangel an strategischem Denken in der Region mehr Verbindungen zerschlagen als geknüpft. Er setzte voll auf die islamistischen Kräfte in der Folge der Arabellion und verkannte die tatsächlichen Machtverhältnisse. Auch in Washington, Paris oder Berlin wird er als Gesprächspartner nicht mehr ernst genommen. Das Verhältnis zu Israel ist irreparabel zerrüttet. Die arabischen Länder werden ihn, den Türken, den politischen Erben des osmanischen Unterdrückerreiches, niemals als Vertreter gemeinsamer Interessen akzeptieren. Erdogan wird sein Präsidentenamt als ein Mann antreten, zwischen dessen angemaßtem und tatsächlichen Einfluss in der Region Welten liegen – keine gute, nein, eine gefährliche Ausgangsbasis für einen Mann, der so von sich selbst und seiner Mission überzeugt ist.

Gerd Appenzeller

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