Gäfgen-Urteil: Ein Fall von Selbstjustiz
Die Richter aus Straßburg stellen Deutschland an den europäischen Folterpranger und adeln einen larmoyanten Kindesmörder mit dem konventionsrechtlichen Opferstatus. Die deutschen Gerichte brauchen keine Anti-Folter-Belehrung aus Europa.
Ein Mörder, der jene anklagt, die ihn verurteilt haben, muss nicht mit Sympathien rechnen. Und ein Gericht, dass diese Anklage zulässt, auch nicht. Insofern werden viele in Deutschland das jüngste Urteil über Magnus Gäfgen befremdlich finden, zumal es von einem Gericht stammt, das das Vertrauen hierzulande derzeit strapaziert: Über hundert Schwerstverbrecher werden bald aus der umstrittenen Sicherungsverwahrung freikommen müssen, weil der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof die deutschen Gesetze dazu nicht duldet.
Die Koalition steht vor ihrer schwierigsten kriminalpolitischen Reform, und zugleich bekommt Deutschland es schon wieder von europäischer Seite bescheinigt, dass die Rechte von Straftätern hier nicht ausreichend heilig sein sollen. Erst, so mag es scheinen, treibt uns Europa in die Pleite, dann gefährdet es die innere Sicherheit und nimmt sich auch noch heraus, uns moralisch zu belehren.
Sollte sich diese Eindruck verfestigen, hätten die Richter aus Straßburg mit ihrem jüngsten Urteil daran erheblich Anteil. Sie stellen Deutschland an den europäischen Folterpranger und adeln einen larmoyanten Kindesmörder mit dem konventionsrechtlichen Opferstatus. Musste das sein? Im Jahr 2002 wäre man dankbar gewesen für klare Worte zu Folterfragen, die deutsche Diskussion dazu lotete alle Tiefen und leider auch Untiefen aus; eine mehr verwirrende als klärende Debatte, die im Rückblick der Erregung und den Ängsten nach dem 11. September geschuldet war. Doch dem Mörder Gäfgen ist danach Recht geschehen. Die deutsche Justiz urteilte mit Augenmaß und der nötigen Konsequenz. Wichtig war, gerade im Fall der Polizeibeamten, dass sie überhaupt urteilte und nicht freisprach.
Das Gericht greift dieses Urteil als zu milde an – und überschreitet seine Kompetenzen. Menschenrechtsverstöße soll es feststellen, nicht die Schwere strafrechtlicher Schuld. Da das Verdikt sonst fast folgenlos bleibt, fragt sich, was die Richter bewogen hat. Vielleicht, dass man dem Superrechtsstaat Deutschland mal zeigen wollte, wo die Paragrafen hängen. Für ihr Selbstvertrauen sind die deutschen Juristen in den europäischen Institutionen schließlich berüchtigt.
Sollten dies also die Absichten gewesen sein, wäre es schade. Die Menschenrechtsrichter hatten ein richtiges und wichtiges Votum zur Sicherungsverwahrung abgegeben, auch wenn es schmerzt. Die Bundesregierung drückt sich, das anzuerkennen, und wartet, bis die Gefangenen vor die Gerichte ziehen, um sich freizuklagen; bisher überwiegend vergeblich übrigens, auch, weil das Bundesverfassungsgericht noch einmal neu entscheiden will, schließlich hatte es das umstrittene „Wegsperren für immer“ ausdrücklich gebilligt.
Insgesamt ist das junge Straßburger Gericht auf gutem Weg, es wird mit Urteilen zu Burka- und Minarettverboten und demnächst zu Schulkruzifixen Akzente setzen, die nicht nur für die europäische Integration bedeutend sind. Fraglos wächst seine Verantwortung. Doch manchmal heißt das auch, sich besser zurückzuhalten.
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