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Der Bundestag hat einen überraschend eindeutigen Beschluss gefasst: Gentests an künstlich erzeugten Embryonen sollen zukünftig in Ausnahmefällen erlaubt sein.
© rtr

PID-Entscheidung: Die Wucht des Schicksals

Der Streit um die Gentests an Embryonen ist endlich entschieden. Am Donnerstag hat der Bundestag nach langem Abwägen vorgezogen, das Leid der Paare ernst zu nehmen und ihnen einen Weg zu eröffnen.

Eine Entscheidung, endlich. Und eine gute. Lange ist in Deutschland um die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, gestritten und gerungen worden. Um das Verfahren also, das es Paaren mit erheblicher genetischer Belastung erlaubt, dennoch gesunde Kinder zu bekommen. Umso erstaunlicher, wie rasch und eindeutig sich der Bundestag in freier Abstimmung am gestrigen Donnerstag dafür entschied, Gentests in der Petrischale an wenige Tage alten Embryonen zu erlauben, innerhalb enger Grenzen. Die betroffenen Paare können erleichtert sein, dass es nun ein gesetzliches Fundament für die PID gibt. Sie müssen für ein gesundes Kind nicht mehr ins Ausland reisen, wo die Methode seit vielen Jahren erlaubt ist. Ihre Bürde bleibt ohnehin schwer genug.

Es ist die „Wucht des Schicksals“, die diese Menschen trifft. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gebrauchte diese Wendung, um ihre Erfahrung als junge Ärztin mit genetisch vorbelasteten Paaren zu beschreiben. Paare zwischen Bangen und Hoffen, die diese Wucht immer wieder durch Fehl- oder Totgeburten zu spüren bekamen. Von der Leyen rückte damit das Wesentliche ins Zentrum: das schwere Leiden von Eltern und ihren Kindern, das man mit der PID zumindest manchmal vermeiden kann.

Die Natur kann grausam und brutal sein. Sie kann Menschen dazu verdammen, dem qualvollen Sterben ihres Kindes durch einen genetischen Defekt fast hilflos zuzusehen. Wer kann es einem Paar verdenken, dass es seinem zweiten Kind mit Hilfe der PID ein solches Schicksal ersparen will? Selbstverständlich ist es legitim, über die ethischen Konsequenzen einer Auslese von genetisch intakten frühen Embryonen nachzudenken. Trotzdem muteten manche Argumente der PID-Kritiker lebensfern an. Etwa die Behauptung, die PID schwäche die Position der Behinderten in der Gesellschaft. Schließlich gehe es darum, „Unterschiedlichkeit“ zuzulassen, wie es Katrin Göring-Eckardt von den Grünen formulierte. Viele Eltern wären vermutlich froh, wenn ihrem Kind diese Form der „Unterschiedlichkeit“ erspart worden wäre und es stattdessen gesund und am Leben wäre.

Die PID kommt im Jahr für etwa 200 bis 300 Paare in Frage, sie ist ein absolutes Ausnahmeverfahren und wird es auch bleiben, wie Erfahrungen aus dem Ausland zeigen. Dort hat sie mitnichten zur Ausgrenzung von Behinderten geführt. Im Gegenteil, die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen und von chronisch Kranken in den westlichen Industrienationen nimmt zu. Kinder mit Down-Syndrom werden nicht mehr vor der Öffentlichkeit versteckt, die Paralympics erfreuen sich immer größerer Aufmerksamkeit. Es ist ein hohes und erstrebenswertes Ziel, der Vielfalt des Menschseins, seiner Unterschiedlichkeit und der gegenseitigen Toleranz Raum zu verschaffen. Das aber steht überhaupt nicht im Widerspruch dazu, Leben zu ermöglichen und schwere Krankheiten zu verhindern, wie es mit PID mitunter gelingt.

Vom „Dammbruch“ durch willkürliche Ausweitung von Gentests in der Petrischale, wie er in der Debatte beschworen wurde, kann ebenso wenig die Rede sein. Auch das zeigt der Blick ins Ausland. Das „Designerbaby“, der genetisch optimierte Supermensch, bleibt ein ausgedachtes Schreckgespenst. Der Bundestag hat sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und es nach langem Abwägen vorgezogen, das Leid der Paare ernst zu nehmen und ihnen einen Weg zu eröffnen. Er hat eine menschliche Entscheidung gefällt.

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