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Katja Reimann macht sich locker: Die Weisheit des Yogis

Es ist so weit. In unserer Straße eröffnet bald die Filiale einer großen Café-Kette. Seit etwa einem Monat wird der Laden auf der Ecke dafür kernsaniert.

Von Katja Demirci

Zuvor gab es dort zu Bier und Korn kein Sky-TV, kein Dart, keinen Schnickschnack, höchstens ein Gespräch mit dem grimmigen Wirt. Von dessen hohem Anspruch kündete allein eine Aufschrift auf der Markise über dem Eingang: „This is the place to be.“ Es war einmal.

„Das passt da doch gar nicht hin“, sagte ich zu unserem Nachbarn, der vom neuen Plan für die alte Kneipe erzählte. „Noch nicht“, antwortete er und zog die Augenbrauen hoch. In der Nacht träumte ich von laktosefreien Milchschaumwellen, die durch den Neuköllner Schifffahrtskanal schwappten, die toten Fische zum Leben erweckten und amerikanische Touristen zum Schwimmen einluden. Das ist natürlich gelogen. Doch ich sorge mich um die Geschäfte des türkischen Familienbetriebs schräg gegenüber: das Café mit dem leckersten Gebäck, dem köstlichsten Kaffee und dem schönsten Schnurrbart Berlins.

„Wir meckern“, sagte mein lieber C., als wir einmal an der Baustelle vorbeispazierten, „aber mal ehrlich: Wahrscheinlich werde ich einer der Ersten sein, die dort einen Kaffee probieren.“ Betreten schwiegen wir.

Der Lauf der Dinge, hatten wir dem gar nichts entgegenzusetzen? Wollten wir nicht?

Es ist etwa ein Jahr her, da trugen in meinem Yogastudio plötzlich alle hautenge, bunte Leggings. Ich fand es scheußlich. Jedenfalls anfangs. Doch je länger ich die knackigen Popos betrachtete, die sich in der Vorbeuge lustig verzerrenden Motive und Muster, desto mehr war ich davon überzeugt, selbst so eine Hose besitzen zu müssen. Wenigstens anprobieren, nur mal so. Eine Woche später kaufte ich eine Leggings, in der ich glaubte, mich irgendwann schön finden zu können. Ich trug sie zwei Mal.

Zu solchen Gelegenheiten denke ich an Trude und Hans aus Graz. Wir lernten sie in einem Dörfchen an der türkischen Südküste kennen. Unsere Holzhütten-Pension war ein Hippie- Camp, unter Orangenbäumen hingen Hängematten, zwischen Gänsen und Katzen lebte ein sprechender Papagei, zum Strand waren es barfuß zwei Minuten.

Hans und Trude sind über 70 und nicht verheiratet. Trude hat schon zwei Ehemänner begraben müssen, der eine starb bei einem Autounfall, der zweite sprang aus dem Fenster. Noch eine Heirat? Zu riskant. Die beiden lieben sich. Hans verliebte sich außerdem ständig in durchreisende junge Frauen – und entliebte sich sofort wieder, wenn die jeweilige eine Zigarette entzündete. Morgens um 6 ging er immer an den Strand und übte Yoga. Da stand er dann allein mit dem Wellenrauschen und der aufgehenden Sonne. „Morgen komme ich mit.“ Das sagte ich an jedem Abend. „Morgen aber wirklich.“

Eines Tages fuhren wir im klapprigen Wagen der Pensionsbesitzerin in die nächstgelegene Stadt. Wir brauchten Bargeld, eine Bank gab es nur dort. Aus dem Nichts hatte ich mich sehr erkältet, zwei Stunden Fahrt mit offenem Fenster waren nicht ideal. Hans griff in seine Umhängetasche und zog eine Badeshorts mit Hawaii-Muster heraus. „Hier“, sagte er, „frisch gewaschen“, und drückte sie mir an den Hals.

Ich entschuldigte mich, ich war trotz Versprechungen noch nie fürs Yoga früh aufgestanden; erklärte, dass ich mich um meine Bronchien sorgte – trotz seiner Badehose – und darum, ob wir überhaupt noch Geld auf dem Konto hatten. Hans lächelte. Wir fuhren auf die Ausfahrt zu, als er in weichstem Österreichisch leise neben mir murmelte: „Wir sind alle nur Sternenstaub.“ Im warmen Wind schloss ich die Augen.

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