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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem.
© REUTERS

Steinmeier in Yad Vashem: Die richtige Rede für diesen Tag

Der Bundespräsident hat eine Ansprache gehalten, die der deutschen Verantwortung und dem Anlass gerecht wird. Doch es bleiben auch Fragen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Es war wohl keine leichte Aufgabe, kurz vor dem 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz als erstes deutsches Staatsoberhaupt in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu sprechen, aber Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine menschlich anrührende, der historischen Verantwortung gerecht werdende und sehr gegenwartsbezogene Rede gehalten.

Sie führte Gedanken fort und spitzte sie zu, die Steinmeier schon lange umtreiben. Und sie passte zu dem Land, das er repräsentiert und das auf neue Herausforderungen, neue Bedrohungen und neuen Hass noch nicht so überzeugende, schlüssige und wirksame Antworten gefunden hat, wie sich das die Mehrheit der Deutschen und die Juden in Deutschland wünschen.

Auch deshalb gab der Bundespräsident „vor den Augen der Welt“ ein Versprechen ab: „Wir bekämpfen Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift des Nationalismus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels!“

Es war keine Rede, die wie jene Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 eine neue, damals für viele anstößige These zum Umgang mit dem Nationalsozialismus in die Welt setzte, wonach der 8. Mai für die Deutschen auch ein Tag der Befreiung war. Deshalb spricht wenig dafür, dass Steinmeiers Auftritt so umstritten und folgenreich sein wird wie Weizsäckers Worte.

Aber seine Rede in Yad Vashem machte sehr deutlich, dass das Lernen aus der Geschichte keinen Endpunkt hat, sondern eine Verpflichtung ist, die weitergeht. Sehr offen und ehrlich hat er vor der Welt geschildert, was in Deutschland schiefläuft, wenn sich Hass und Hetze ausbreiten, jüdische Schulkinder bespuckt werden, antisemitisches, völkisches und autoritäres Denken verbreitet wird.

Es war eine Rede für diesen Tag. Sie schien auch anzukommen vor ihrem internationalen Publikum – und sie wird hoffentlich auch in Deutschland gehört, gesehen, gelesen, verstanden und beherzigt werden.

"Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte"

Zu manchen Gedanken hätte man Nachfragen. Der Bundespräsident hat sich in Yad Vashem  zur Einmaligkeit des Holocaust bekannt, den er „das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ nannte. Das ist eine Sichtweise, die sich allgemein in Deutschland erst durchsetzte, als Steinmeier noch ein junger Mann war – und auch er hat wohl mit denen argumentiert, die auf diesem Urteil bestanden.

Auf der anderen Seite mahnte er, unsere Zeit sei zwar nicht dieselbe Zeit, es seien nicht dieselben Täter, aber es sei „dasselbe Böse“. Ist der eliminatorische Antisemitismus der Nationalsozialisten, sind gar ihre Verbrechen gleichzusetzen mit Handlungen heutiger Nationalisten, Antisemiten oder Predigern autoritärer Gedanken in Deutschland?

Herabwürdigungen nicht nur außerhalb des Bundestags

Gemeint hat Steinmeier wohl eine Haltung, die anderen Menschen den gleichen Wert abspricht wie den Angehörigen einer vermeintlich eindeutigen und einheitlichen deutschen Nation. Es sind nicht nur Rechtsextremisten und Antisemiten außerhalb des Bundestags, die gezielt Minderheiten so herabwürdigen und Gewalttäter ermutigen. Auch in der AfD tun das viele – zunehmend ungehemmt.

Der Name der Anti-System-Partei AfD fiel in Steinmeiers Rede kein einziges Mal – das verbietet dem Bundespräsidenten wohl das Neutralitätsgebot. Doch gemeint fühlen muss sich auch die AfD. Es wird spannend werden zu beobachten, wie die Abgeordneten dieser Partei im Bundestag bei der Gedenkfeier am kommenden Mittwoch auf Steinmeier und den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin reagieren werden. Sie werden nur wenige Meter von den beiden Rednern entfernt sitzen – und die Welt wird zusehen, ob und wo sie klatschen oder nicht. Und daraus ihre Schlüsse ziehen.

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