Griechenland: Die Nacht der Morgenröte
Von Krise zu Krise: In Griechenland liegt nicht nur die Wirtschaft am Boden. Auch das politische System steht auf der Kippe. Eine Analyse.
Es sollte ein Neustart werden: Am Sonntag wollte die konservative Nea Dimokratia (ND), Griechenlands größte Oppositionspartei, per Urwahl einen neuen Vorsitzenden küren. Doch schon zu Beginn der Abstimmung, die einen „Anti-Tsipras“ hervorbringen und der ND den Weg zurück an die Macht ebnen sollte, brach die Organisation zusammen. Die Wahl wurde abgesagt.
Das Debakel wirft ein Schlaglicht auf einen oft übersehenen Aspekt: Nicht nur ökonomisch liegt das Land am Boden, auch das Parteiensystem befindet sich nach sechs Jahren Krise in einem desolaten Zustand. Und das könnte fatale Folgen für die politische Stabilität Griechenlands haben.
Die für Sonntag geplante Wahl wurde abgesagt
Seit dem Wahlsieg des radikalen Linksbündnisses Syriza Ende Januar ist die griechische Wirtschaft erneut auf Talfahrt. Das Land ist wieder vom Kapitalmarkt ausgeschlossen. Im Sommer schnürte die Euro-Zone deshalb ein drittes Hilfspaket. Im Gegenzug soll Athen Reformen umsetzen. Doch damit hapert es. Premier Alexis Tsipras, der seinen Anhängern noch vor einem Jahr ein Ende des Sparkurses versprochen hatte, spürt Gegenwind. Er selbst mag sich unter dem Druck der Geldgeber vom Revoluzzer zum Reformer wider Willen gewandelt haben – aber seine Partei macht nicht mit. Nur zwei Monate nach seiner Wiederwahl bröckelt die Regierungsmehrheit bereits. Drei Abgeordnete sprangen vergangene Woche ab. Und die wirklich schwierigen Abstimmungen stehen erst noch bevor.
Statt seine Regierung nach der Neuwahl von Ende September auf eine breitere Basis zu stellen, erneuerte Tsipras damals sein Bündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Jetzt wendet er sich plötzlich an die Opposition und wirbt für einen „nationalen Dialog“.
Der Schuldenberg ist höher denn je
Doch wer soll ihn unterstützen? Die ND ist mit sich selbst beschäftigt. Die gescheiterte Wahl eines neuen Vorsitzenden könnte sogar zu einer Spaltung der Partei führen. Die sozialdemokratische Pasok, lange die stärkste griechische Volkspartei, ist mit 6,3 Prozent zu einer Splitterpartei geschrumpft. Die vielversprechende Neugründung To Potami, eine Mitte-links- Partei, blieb ein politisches Mauerblümchen.
Sechs Jahre nach Beginn der Krise ist Griechenlands Schuldenberg höher denn je. Die Menschen verlieren die Hoffnung. In einer Umfrage von Mitte November äußerten 86 Prozent Unzufriedenheit mit der Regierung. Nach einer kurzen Wachstumsphase 2014 wird die Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr wieder schrumpfen. Zu den ökonomischen Sorgen kommt nun das Migrationsthema. Es könnte dramatische Dimensionen annehmen – wenn die Balkanstaaten ihre Grenzen dichtmachen und die Schutzsuchenden zu Hunderttausenden in Griechenland gefangen sind.
Rückfall in die Rezession, Rekordarbeitslosigkeit, Rentenkürzungen, Steuererhöhungen und nun auch noch die Flüchtlingskrise – das ist Wasser auf die Mühlen der rechtsextremistischen Goldenen Morgenröte. Schon bei der Wahl Ende Januar waren die Neonazis mit 6,3 Prozent drittstärkste Kraft, im September legten sie auf sieben Prozent zu. Die Enttäuschung über Tsipras und die drohende Desintegration der Konservativen könnten den Rechtsextremisten weiteren Zulauf bescheren: düstere Aussichten für Griechenland.