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US-Präsident Barack Obama verkündet neue Militärstrategie.
© Reuters

Gastkommentar: Die Mär vom amerikanischen Rückzug aus der militärischen Führungsrolle

Die jüngst von US-Präsident Barack Präsident Obama vorgestellte Defense Strategy Guidance für die zukünftige Aufstellung des amerikanischen Militärs sorgt für große mediale Aufmerksamkeit. Dabei ist weder ihr Inhalt überraschend, noch sind die Auswirkungen dramatisch, sagt Johannes Thimm von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

In der strategischen Neuorientierung der USA kommen zwei Motive zusammen: Zum einen möchte Obama nach einem Jahrzehnt der Kriege in Irak und Afghanistan in der Außenpolitik neue Akzente setzen. Zum anderen muss gespart werden. Seitdem das Haushaltsdefizit der USA im Jahr 2011 mit Macht auf die politische Agenda gerückt ist, sucht die Regierung nach Wegen, ihre Ausgaben zu reduzieren. Der Verteidigungsetat ist mit derzeit über 660 Milliarden US-Dollar der zweitgrößte Haushaltsposten nach den sozialen Sicherungssystemen. Bei der Bekämpfung des Defizits führt daher kein Weg an Einsparungen bei den Verteidigungsausgaben vorbei.

Bereits letzten Sommer kündigte die US-Regierung Einsparungen beim Militär von rund 450 Milliarden US-Dollar über die nächsten zehn Jahre an. Diese Zahl hat Leon Panetta nun auf 487 Milliarden US-Dollar präzisiert. Hierbei geht es jedoch nicht um eine Kürzung des gegenwärtigen Ausgabenniveaus. Vielmehr plant die Administration, in den nächsten zehn Jahren etwa acht Prozent weniger auszugeben, als vom Pentagon ursprünglich für diesen Zeitraum vorgesehen. Tatsächlich wächst der Verteidigungshaushalt weiter, wenn auch weniger als ursprünglich beabsichtigt.

Einschnitte weit weniger dramatisch als es den Anschein hat

Daher scheint es zunächst unbegründet, wenn Kritiker warnen, dass derartige Kürzungen dem Militär nicht zuzumuten seien. Allerdings besteht die berechtigte Sorge, dass weitere Kürzungen folgen. Im August 2011 hatte der Kongress ein Gesetz beschlossen, nach dem im Verteidigungsbudget ab 2013 zusätzliche Einschnitte in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar bis 2023 fällig werden. Insgesamt könnte das Budget also um eine Billion US-Dollar geringer ausfallen als noch Ende 2010 angenommen. Die zweite Runde von Einsparungen wäre ungleich schmerzhafter, da sie tatsächlich Ausgaben reduzieren und nach dem „Rasenmäherprinzip“ auf alle Programme angewendet würde. Stimmen, die davor warnen, dass das US-Militär seine Schlagkraft verlieren könne und die amerikanische Führungsrolle mittelfristig in Gefahr sei, haben vor allem diese Kürzungen im Blick.

Ob die zusätzlichen Kürzungen Realität werden, ist zurzeit ungewiss. Weder Administration noch Kongress wollen sie, und die Gesetzeslage ist nicht unumkehrbar. Doch selbst wenn sie umgesetzt werden, sind die Schreckensszenarien übertrieben.

In den letzten zehn Jahren ist der Verteidigungshaushalt der USA – selbst ohne Berücksichtigung der Kriege in Afghanistan und Irak – um über 80 Prozent gewachsen. 2010 gingen über 40 Prozent der globalen Verteidigungsausgaben auf das Konto der Amerikas. Gemeinsam mit den NATO-Verbündeten geben die USA deutlich mehr für Verteidigung aus als der Rest der Welt zusammen. Das amerikanische Militär hat die fast unbegrenzt sprudelnden Finanzen in den letzten zehn Jahren genutzt, um sich umfassend zu modernisieren. Es wurde viel in neue Waffensysteme wie unbemannte Drohnen investiert, ohne andere Anschaffungen zu reduzieren. Auch im Falle realer Kürzungen wäre das Militär gut gerüstet.

Weiterführung der bekannten strategischen Neuorientierung

Auch inhaltlich bietet die neue Strategie wenig Überraschungen. Die stärkere Ausrichtung der amerikanischen Sicherheitspolitik auf Asien ist seit langem bekannt. Zuletzt wies Obama bei seiner Rede vor dem australischen Parlament Mitte November darauf hin. Nichts führt an der Tatsache vorbei, dass der Nahe und Mittlere Osten auf absehbare Zeit eine strategisch wichtige Region und damit auch eine Priorität der amerikanischen Sicherheitspolitik bleibt.

Auch der laut Defense Strategy Guidance vorgesehene Verzicht auf die Fähigkeit, zwei Kriege auf einmal führen und gewinnen zu können, wird überbewertet. Hintergrund ist die geplante Reduzierung der Truppenstärke bei Armee und Marineinfanterie (Marines). Diese resultiert neben den Sparzwängen auch aus den Lehren, die die Obama-Administration aus den Erfahrungen in Irak und Afghanistan gezogen hat: auf Besatzungen und Stabilisierungsmissionen dieser Größenordnung wird sie sich in absehbarer Zukunft nicht mehr einlassen. Obschon es für die USA im Rahmen der neuen Strategie schwieriger wird, zwei große Bodenoffensiven gleichzeitig durchzuführen, werden sie weiterhin in mehreren Krisenherden gleichzeitig intervenieren können.

Die Details der Haushaltsplanung werden erst in den nächsten Wochen bekannt gegeben. Sie sagen in der Regel mehr über Prioritäten aus als vage Strategiedokumente. Doch schon jetzt lässt sich feststellen: Die Militärstrategie und die damit verbundene Haushaltsplanung sind eine leichte Kurskorrektur vor dem Hintergrund knapper Kassen. Den Anspruch einer globalen Führungsmacht, die militärisch in einer anderen Liga spielt als alle potentiellen Rivalen, geben die USA damit keinesfalls auf.

Johannes Thimm forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik schwerpunktmäßig zu den USA. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt.html.

Johannes Thimm

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