Bundestagswahl und AfD: Die Krise der EU ist durch ihre Förderer entstanden
Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die etablierten Parteien mit dem Thema Europa nicht umgehen können - auch, weil sie Gefangene ihrer eigenen Geschichte sind. Dabei geht es nicht nur um Geld, es geht auch darum, dass Deutschland zu dem geworden ist, was es nicht werden wollte: zur Zentralmacht Europas.
Am Sonntag stellt sich noch einmal, aber zum letzten Mal, die alte Bundesrepublik zur Wahl. Steinbrück, Brüderle, Trittin, Schäuble heißen die Spitzenpolitiker der Parteien und gestritten wird über Positionen aus der Frühzeit der Grünen. Helmut Schmidt greift in der „Bild“ in den Wahlkampf ein, und Helmut Kohl mischt sich in die Zweitstimmendebatte ein. Es ist fast alles wie früher, fast, denn eine Partei, die es in der Bundesrepublik noch nicht gab, hat Chancen, am Sonntag ins Parlament gewählt zu werden. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass der europapolitische Deutungsrahmen der übrigen Parteien wirkt, als stamme auch er aus der Vergangenheit. Dabei ist in Europa nichts mehr so wie früher.
Die Krise der Europäischen Union ist nicht durch ihre Gegner entstanden, sondern durch ihre Förderer. Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die großen Parteien mit diesem Widerspruch bis heute nicht umgehen können – und sich deshalb an die apodiktischen Alten halten. CDU, SPD und FDP sind bei Europa und dem Euro befangen, weil es dabei immer um das eigene Erbe und die Beziehung zu ihren bundesrepublikanischen Übervätern geht.
Deutschland als Europas Zentralmacht
Für Kohl, Schmidt oder auch Hans-Dietrich Genscher lässt sich Europa leicht mit der Vergangenheit begründen, denn es ist ihre Vergangenheit und ihr eigenes Werk. Doch von Steinbrück und Merkel erwartet man, dass sie Europa nicht mit der Folie der Alten, sondern der Jungen erklären; dass sie nicht ausschließlich auf das historische Bekenntnis zu Europa setzen, sondern erklären, wie die ausgehöhlte institutionelle Architektur Europas je zu einem demokratischen Leben erweckt werden kann.
Dabei geht es nicht um Geld und Hilfspakete, die die Wähler längst eingepreist haben. Es geht vor allem darum, dass Deutschland am Ende einer von Schmidt, Kohl und Genscher geprägten Politik zu dem geworden ist, was es eigentlich niemals werden wollte: der Zentralmacht Europas, von der alles abhängt. Das hätten gerade CDU, SPD und FDP zu ihrem Thema machen sollen.
Ohne Genscher gäbe es heute keine "Alternative für Deutschland"
Wie folgenreich diese Verweigerung ist, lässt sich gut an der FDP ablesen. Statt auf die institutionelle Verwahrlosung Europas, die Zentralisierung von Macht und die politische Bevormundung, die mit der Euro-Rettung einhergeht, aufmerksam zu machen, hat die FDP mitgemacht. Weil sie offenbar nicht in der Lage war, sich von dem eigenen Ehrenvorsitzenden und Europa-Ideologen zu emanzipieren und eine zeitgemäße liberale Position zu Europa zu entwickeln, überließ sie diese ihre Themen – und ihre Wähler – merkwürdigerweise lieber anderen. Kaum überspitzt gesagt: Ohne Genscher gäbe es heute keine „Alternative für Deutschland“.
Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, dass Angela Merkel eine andere Beziehung zu Europa hat, weil sie aus dem Osten stammt. Er wollte sie damit disqualifizieren. Doch umgekehrt ist es richtig: Eine deutsche Haltung zu Europa, die noch aus der alten Bundesrepublik stammt, ist obsolet. Die Vision von damals hat von der Realität längst eins aufs Auge bekommen. Und auch das Europa von damals gibt es nicht mehr.
In vier Jahren wird wieder gewählt. Bis dahin wird die biografisch-ideologische Prägung der deutschen Politik durch die alte Bundesrepublik noch weiter abgenommen haben, die Deutungshoheit der Überväter auch. Es wäre ein Gewinn, wenn die Parteien bis dahin endlich ihre europapolitische Befangenheit abgelegt hätten.