Hackerangriff auf Sony: Die Krieger der Knöpfe sind gefährlicher denn je
Bisher beschränkten sich Hacker auf Spionage und vereinzelte Fälle von Sabotage. Zum Glück. Denn gemessen an der potenziellen Wirkung eines gezielten und womöglich simultan erfolgenden IT-Angriffs sind insbesondere westliche Länder heute gefährdeter denn je. Ein Kommentar
In dieser Woche, just zu Weihnachten, sollte in Amerika die Komödie „The Interview“ in die Kinos kommen. Es geht darin um fiktive Pläne zur Ermordung des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un. Offenbar als Protest dagegen griffen im November anonyme Hacker, die sich „Wächter des Friedens“ nennen, das Hollywood-Studio des japanischen Sony-Konzerns an. Sie stahlen sensible Firmenunterlagen, unveröffentlichte Drehbücher, private E-Mails. Dann stießen sie Terrordrohungen aus für den Fall, dass „The Interview“ gezeigt wird. Die US-Regierung hielt die Drohungen für ernst und machte Nordkorea für die Cyberattacken verantwortlich. Nun hat Sony die Premiere abgesagt.
Erinnerungen an den Streit um die Mohammed-Karikaturen werden wach
Die Geschichte erinnert an den Streit um die Mohammed-Karikaturen, die Fatwa gegen den Autor der „Satanischen Verse“, Salman Rushdie, die Absetzung von Mozarts „Idomeneo“ in der Deutschen Oper in Berlin. Damals wie jetzt wird völlig zu Recht die Meinungs-, Presse- und Kulturfreiheit gegen jede Form von Erpressung verteidigt. Die Absetzung des Films sei ein „Akt der Feigheit“, heißt es, Amerika habe seinen „ersten Cyberkrieg verloren“, ein „beunruhigender Präzedenzfall“ sei geschaffen worden. Barack Obama spricht von einem „Fehler“. Schauspieler, Schriftsteller, Intellektuelle und Politiker kämpfen für die westlichen Werte. So soll es sein.
Immer dringlicher aber stellt sich die Frage: Wie lässt sich etwas verteidigen, das immer verwundbarer wird? Maus und Tastatur sind längst mächtigere Waffen als Panzer und Rakete. Die NSA kann praktisch jede Onlinekommunikation der Welt abhören. Die Cyberkriegsbehörde „United States Cyber Command“ wird ständig ausgebaut. Mit dem Computervirus „Stuxnet“ wurde erfolgreich ein digitaler Erstschlag gegen das iranische Atomprogramm geführt. Und die Konkurrenz schläft nicht. Den Chinesen war es schon vor zehn Jahren gelungen, amerikanische Regierungscomputer und Rüstungsunternehmen zu infiltrieren („Titan Rain“). Mutmaßlich russische Hacker drangen im April 2007 in estnische Webseiten von Regierung, Banken, Ministerien und Zeitungen ein („Web War 1“).
Die gesamte Infrastruktur der westlichen Welt ist computergestützt
Bisher beschränkten sich die Krieger der Knöpfe auf Spionage und vereinzelte Fälle von Sabotage. Zum Glück. Denn gemessen an der potenziellen Wirkung eines gezielten und womöglich simultan erfolgenden IT-Angriffs sind insbesondere westliche Länder heute gefährdeter denn je. Ihre gesamte Infrastruktur ist computergestützt – ob Strom- oder Wasserversorgung, Finanzmärkte oder Gesundheitsdienste. Glaubt irgendjemand, dass etwa eine Stadt wie Berlin besser vor Hackern gesichert ist als die Filmproduktionsfirma von Sony? Selbst bei apokalypseresistenten Menschen reicht die Fantasie aus, sich vor den chaotischen Folgen einer solchen Attacke zu gruseln. Auch US-Geheimdienste sind seit knapp zwei Jahren davon überzeugt, dass Cyberkrieger ihr Land stärker gefährden als islamistische Terrororganisationen.
Die schöne neue Welt ist auch eine schreckliche neue Welt
Die schöne neue Welt ist auch eine schreckliche neue Welt. Sie allein zu beklagen oder zu verurteilen, nützt nichts. Es zeugt von edler Gesinnung, das Einknicken von Sony vor den „Wächtern des Friedens“ als Preisgabe der Freiheit zu verdammen. Aber wer nicht gleichzeitig von den politisch Verantwortlichen einen wirksameren Schutz vor Hackern verlangt, ist kaum mehr als ein Maulheld. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.
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