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Die größte Kanone von allen: Donald Trumps Erfolg steht für eine Sehnsucht nach einfachen Botschaften, meint unsere Kolumnistin.
© imago stock&people

Donald Trump: Die größte Show seines Lebens

Donald Trump ist Super-Siegfried und Anti-Clinton. Und er weiß, was den Amerikanern - vor allem den männlichen - gefällt. Ein Essay

Mit seinem Erfolg im amerikanischen Präsidentschaftsvorwahlkampf ist Donald Trump zu einem weltweiten Medienphänomen geworden. Trotz aller Aufmerksamkeit, die ihm bisher von Journalisten und Experten geschenkt worden ist, greifen die bisherigen Ansätze zur Erklärung seines Erfolgs zu kurz.

Es ist nicht allein sein dezidierter Standpunkt gegenüber Immigranten, der seinen Erfolg beim Wahlvolk (und nicht nur unter Republikanern) ausmacht. Auch sein angeblich „gutes Aussehen“, das Trump selbst des Öfteren für sich in Anspruch genommen hat, reicht als Erklärung nicht aus. Die Hauptanziehungskraft Trumps beruht auf der Tatsache, dass er sich als effektivste Alternative zur Wahl einer Frau als ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten präsentiert. Insofern sind Donald Trump und Hillary Clinton die siamesischen Zwillinge des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 in den USA. Sein Aufstieg – und sein Beharrungsvermögen in den Meinungsumfragen – wäre ohne die Dominanz der Kandidatur von Hillary Clinton auf demokratischer Seite nicht zu erklären.

Trump als Schutzschild gegen Hillary

Trumps Aufstieg ist insofern ein direktes Spiegelbild der elementaren Ängste, die insbesondere weiße Männer in den USA über den aus ihrer Wahrnehmung unaufhaltsamen Aufstieg von Frauen empfinden. Dieser beunruhigt, ja, verwirrt sie und erschüttert ihr Selbstverständnis. Hillary Clinton ist all das, wovor amerikanische Männer Angst haben: Sie ist klug, unnachgiebig, hochkompetent und hochgradig zielorientiert. Und zugleich ist sie unnahbar, erfolgreich – und inzwischen auch reich.

Diese Szene spielt auf einer Landwirtschaftsmesse in Iowa: Um sich volksmäßig zu geben, ist Hillary Clinton dabei, sich mit ihrem Tross unter das Volk zu mischen und für die Babyfotos und das Händeschütteln zur Verfügung zu stellen. Just in diesem Moment taucht im Himmel über der Landwirtschaftsmesse ein schwarz angemalter, mit dem Schriftzug „Trump“ versehener Hubschrauber auf und zirkelt erhaben über dem ganzen Geschehen. „The Donald“ beobachtet, was unter ihm abläuft – und erreicht mit dieser Inszenierung genau sein Ziel: Das Volk hält den Atem an und sieht ihn wie einen Hohepriester einschweben. Hillary Clintons Gegenwart wird zu Makulatur.

So wirkmächtig derlei Bildsprache ist, geht Trump mit seiner fein austarierten Rollendarstellung weit darüber hinaus. Denn es ist nicht eine Rolle, die er spielt, es sind zehn:

1. Der Super-Siegfried. Trumps blonde Haarmähne ist eindeutig genug: Er gibt sich als der sagenumwobene, heldenhafte Siegfried. Aber Trump setzt der Furchtlosigkeit des Wagner’schen Charakters noch etwas drauf. In einer Zeit, in der viele Amerikaner sich um ihr persönliches Auskommen Sorgen machen, betont Trump immer wieder, wie viele Menschen er beschäftigt. Damit stilisiert er sich zu einer Art Siegfried’schem Super-Versorger. Er signalisiert den Menschen, dass sie unter seinen Fittichen ihr Auskommen finden werden. Dieses Versprechen wirkt besonders auf Männer, deren Rollenverständnis als klassische Versorger ihrer Ehefrauen und Familien ins Wanken geraten ist. Dies ist ein erstes Beispiel für das instinktiv clevere Auftreten Trumps. Er entpuppt sich als ein überraschend zielsicherer, psycho-politisch versierter Stratege.

2. Trump als Schutzschild gegen Hillary. Nun ist Hillary Clinton für Trump alles andere als eine Brünnhilde. Er umwirbt sie nicht. Er lehnt sich gegen sie auf. Sie ist vielmehr das, wovor er das Volk – und insbesondere die Männer – schützen möchte. Auf den Punkt gebracht, sind Frauen heutzutage einfach zu erfolgreich, zu gebildet und dazu besser auch noch im Multitasking, das für den beruflichen und privaten Erfolg immer mehr zur Voraussetzung wird. Obendrein ist es den Frauen gelungen, die Einkommenslücke weiter zu schließen. Da junge weibliche Professionals in den USA inzwischen einen höheren Bildungsgrad erreichen als ihre männlichen Kollegen, wird es nicht lange dauern, bis sie nicht nur genauso viel, sondern sogar mehr als die Männer verdienen werden.

Warum spielt das in den vermeintlich modernen Vereinigten Staaten eine so große Rolle? Die Antwort ist relativ einfach. Trotz aller Modernität ist das gegenseitige Rollenverständnis – vor allem außerhalb der Großstädte – nach wie vor relativ archetypisch. Der gepanzerte American Football-Held steht da immer noch vollbusig ausgestatteten und dünn bekleideten „Cheerleader“-Frauen am Spielfeldrand gegenüber. In der Realität ist der Mann aber eben nicht mehr der Starke. Das herkömmliche Modell des Jägers und Sammlers wird immer mehr auf den Kopf gestellt. Trump bietet sich vor dieser Entwicklung als die Verkörperung des traditionellen Geschlechtermodells an.

Trumps Rollen 3-10

3. Der Träumer. Trumps Version des amerikanischen Traums mag eine ausgesprochen vulgäre sein. Aber im Unterschied zu den meisten seiner Bewunderer gelingt es ihm, diesen Traum weiterhin in vollem Maß zu leben. Und gerade wegen dieser Maßlosigkeit bewundern ihn seine Anhänger perfiderweise umso mehr. Sie glauben, dass seine Strahlkraft sich irgendwie auch auf sie selbst auswirken wird.

Aber es ist nicht nur Trumps Reichtum, den er zur Schau stellt – und der Bewunderung auslöst. Während Arnold Schwarzenegger mit seinen Muskelpaketen Karriere gemacht hat, hat Trump immer darauf abgezielt, von gut aussehenden Frauen umgeben zu sein – im Fernsehen und im übrigen Leben. Dabei mag Trumps Definition von „gut aussehend“ eher dem schlichten Modell der oben angeführten Cheerleaderinnen entsprechen. Aber aus Wählersicht ist das kein Hindernis, sondern verstärkt seine Anziehungskraft.

4. Der Lanzenritter. Trumps Draufgängertum, das von den Eliten in den USA als Verantwortungslosigkeit gebrandmarkt wird, hat Methode. In einer Zeit, in der Männer sich kollektiv immer zaghafter präsentieren, gibt er den mittelalterlichen Lanzenritter. Ob mit oder ohne Gesichtsmaske, heruntergeklappt oder nicht, reitet er munter und von allem Trubel unberührt direkt – Lanze vorwärts gestreckt – auf seine Widersacher zu. Trump verfolgt dabei nur ein einziges Ziel: seine Widersacher vom Pferd zu stechen.

Hinter diesem mittelalterlichen Sinnbild steckt eine moderne Strategie, die Trump auch immer für sein eigenes Geschäftsgebaren eingesetzt hat: aus Prinzip keine Entschuldigungen. Kein Rückzug. Permanente Offensive. Und darauf setzen, dass sich die andere Seite zurückzieht oder einknickt. Wer so viel Glauben an sich selbst hat und so risikoreich agieren kann, der strahlt Selbstvertrauen aus. Und just dieses Selbstvertrauen ist in einer Zeit stagnierender, wenn nicht rückläufiger Einkommen unter Amerikanern ein knappes Gut geworden.

Er stellt seinen Reichtum in geradezu grotesker Weise zur Schau

5. Der Außenseiter. Trotz aller Neigung zum Pompösen denkt Trump auch immer dialektisch – und auf diese Weise wird er immer glaubwürdiger. Hier beweist sich einmal mehr, wie instinktsicher er die Amerikaner und all ihre Hoffnungen versteht. Hollywood hat immer wieder Filme hervorgebracht, die sich mit einem Sujet befassten: dem sagenumwobenen Aufstieg eines vermeintlich chancenlosen Kandidaten, der am Ende entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch in das Weiße Haus einzuziehen vermag. Dieses klassische Filmstrickmuster – die Projektion der eigenen, zu kurz gekommenen Hoffnungen und Sehnsüchte auf ein anderes mythisches Wesen – macht Trump sich für seinen gegenwärtigen „Film“ zunutze. Insofern reitet er auf der Erwartungshaltung, die diese Hollywood-Filme im Volk ausgelöst haben. Kevin Klines „Dave“ (1993), Chris Rocks „Head of State“ (2003) und Robin Williams’ „Man of the Year“ (2006) sind der Nährstoff, aus dem sich Trumps Kandidatur jeden Tag stärkt.

6. Das Spiegelbild. Trotz allem stillschweigenden Fokus auf Hillary Clinton (und damit der demokratischen Partei) treibt Donald Trump die republikanische Partei, um deren Präsidentschaftskandidatur er ja kämpft, regelrecht zum Wahnsinn. Denn Trumps Leben ist in gewisser Weise das perfekte Sinnbild für die politischen Prioritäten der republikanischen Partei in den vergangenen Jahrzehnten. Während sie dem Volk sanft-säuselnd Parolen über die Größe Amerikas einflüsterten, ging es der Realpolitik der Republikaner doch immer nur um eines: darum, die Reichen reicher zu machen.

Trump hat so gut wie jede Steuervergünstigung, die mithilfe von Lobbyisten für die Vermögenden des Landes ohne jeden Skrupel in vielerlei Gesetzesvorhaben im amerikanischen Kongress umgesetzt wurde, für seine eigenen Zwecke genutzt. Bisher bestand der Trick der Republikaner darin, Präsidentschaftskandidaten zu finden, die dieses Vorgehen (und diesen Reichtum) nicht zur Schau stellen. Von Trump wird diese Logik in ihr Gegenteil gekehrt: Er stellt seinen Reichtum in geradezu grotesker Weise zur Schau. Er entlarvt die republikanische Partei, denn er hält ihr den Spiegel vor.

7. Der Satan. Damit allein hat Trump aber aus der Warte seines eigenen Lustanspruchs noch nicht genügend Schaden bei den Republikanern angerichtet. Deshalb setzt er seinem diabolischen Treiben – allem Trubel über sein Frauenverständnis zum Trotz – noch ein pikantes i-Tüpfelchen auf. Obwohl er vermeintlich auf Frauen als Tussis herabblickt, setzt er sich dezidiert für deren Selbstbestimmungsrecht bei Abtreibungen ein. Damit missachtet er einen Kernbestandteil der politischen Doktrin der republikanischen Partei.

Mit dieser Position zielt Trump im Kern darauf, die Frage nach der Modernität der republikanischen Partei und ihrem Respekt für Frauen in den Fokus der nationalen Debatte zu rücken.

8. Manager mit Killer-Instinkt. Unabhängig von den Zweifeln an der Solidität seines Geschäftserfolgs, hat Trump die von ihm betriebene Selbst- Mythologisierung immer weiter verfeinert. Kein Schachzug ist dabei bedeutsamer als das, was er über Frauen als Manager gesagt hat: Seiner Ansicht nach sind sie hocheffiziente Manager, ja geradezu „mit einem Killerinstinkt ausgestattet“. Deshalb, behauptet Trump, beschäftige er sie auch so gerne in seinen Firmen. Dieses Denkmuster weist wieder einmal mehr auf Trump, den großen Dialektiker, hin. Einerseits zollt er, an der Oberfläche, den Frauen ein Kompliment; andererseits sendet er den Männern durch den Killer-Begriff wieder einen Hinweis darauf, wie gefährlich Frauen eigentlich sind.

9. Der Spieler. Keiner weiß, ob Donald Trump seinen Dostojewski gelesen hat. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich wie Alexei Iwanowitsch aus dem Roman „Der Spieler“ (1867) geriert. In seinem Geschäftsleben wie nun auch in der Politik ist Trump bereits mehrmals totgesagt worden. Und dennoch vermag er es immer wieder, seine eigene Auferstehung zu zelebrieren. In diesem Sinne ist er unverwüstlich. Ebenso wie Dostojewski seine Romanfigur nutzte, um die Tiefen der russischen Volksseele auszumalen, gilt für Trump das Gleiche hinsichtlich des heutigen amerikanischen Nationalcharakters.

10. Der größte Produzent. Es ist kein Zufall, dass Donald sowohl als Baulöwe und Kasino-Mogul hervorgetreten ist, als auch als Hauptdarsteller und Produzent von sehr erfolgreichen Reality- Fernsehshows bekannt geworden ist. Genau genommen sind die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 für Trump nichts anderes als die Verbindung all seiner Leidenschaften: die Spielerei, das Fernsehen, sein Verständnis der plebejischen Volksseele – und vor allem die Gelegenheit, sich im Mittelpunkt des gesamten Geschehens zu positionieren.

Die Wahlen 2016 sind mit anderen Worten die größte Show seines Lebens. Und im Unterschied zu allen, die nur Politiker sind, weiß er sehr genau, was notwendig ist, um die Aufmerksamkeit der Wähler aufrechtzuerhalten – ihnen sozusagen einen Werbespot nach dem anderen vorzuführen.

So gesehen ist der Wahlkampf 2016 für Donald Trump der ultimative Luxusartikel. Er gibt ihm die Möglichkeit, das zu erreichen, was ihm kein Geld der Welt verschaffen könnte. Er liefert ihm die Möglichkeit, sich in den nächsten Monaten damit zu unterhalten, womöglich doch ins Weiße Haus einzuziehen; um dann – wenn schon nicht das amerikanische Volk – zumindest sich selbst ausgiebig zu unterhalten.

Der Autor lebt in Washington, D.C., und ist Herausgeber und Chefredakteur des Onlinemagazins „theglobalist.com“.

Stephan Richter

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