Wirtschaftspolitik: Die große Koalition schadet der Industrie
Deutschlands neue Regierung feiert die Industriekultur in Deutschland - und schaut gleichzeitig seelenruhig deren Niedergang zu. Die Industrie wendet sich ab - auch weil Union und SPD meinen, sie hätten besseres zu tun.
Es gehört zu den guten Sitten, eine neue Regierung erst einmal 100 Tage in Ruhe zu lassen, bevor man sie kritisiert. Bei dieser Regierung wird das nicht gehen. Sie bewertet in ihren ersten Botschaften die Perspektiven des Landes so krass falsch, dass man nicht zu früh Alarm schlagen kann. Entweder ist es der neuen Regierung nicht bewusst, oder aber sie ignoriert es: Deutschland verliert seine industrielle Basis.
Diese Bundesregierung feiert die Industriekultur in Deutschland – und sieht gleichzeitig seelenruhig zu, wie sie zerfällt. In der energieintensiven Industrie wird nicht einmal mehr so viel investiert, dass der Bestand erhalten werden kann. Bei den Ausrüstungsinvestitionen – Maschinen und Anlagen, die Unternehmen für die Produktion kaufen – sieht es kaum besser aus.
Die hohen deutschen Energiekosten sind dafür zwar eine wichtige, aber nur eine Erklärung. Auch die Euro-Krise oder die demografische Entwicklung können die Zurückhaltung nicht vollständig erklären. Denn viele Unternehmen würden mit Investitionen hierzulande höhere Renditen erwirtschaften, als sie es an anderen Standorten tun. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie wollen einfach nicht mehr. Die Industrie wendet sich ab.
Die neue Bundesregierung müsste den Unternehmen die Sicherheit geben, diesem Land wichtig zu sein. Das tut sie nicht, sie hält die Wirtschaftsstärke – so jung sie ist – für garantiert. Die CDU hat auf alle Ressorts verzichtet, die mit der Wirtschaft, den Unternehmen, dem Standort zu tun haben. Wirtschaftspolitik ist die alleinige Aufgabe der SPD geworden. Die Sozialdemokraten aber sehen ihre Aufgaben auf einem anderen Feld. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat nach wenigen Stunden im neuen Amt den Firmen erst einmal erklärt, wie wichtig home office ist. Dazu noch nimmt sie einen Riesenanlauf, um Mütter und langjährig Arbeitende in der Rente besserzustellen, Mindestlöhne einzuführen, die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt einzuschränken. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bastelt gleichzeitig an einem Neuanlauf für die Energiewende, deren Ergebnis schon festzustehen scheint. Energie wird noch teurer.
Investitionsschwäche ist keine akute Krankheit. Sie verläuft schleichend. Deshalb werden die Koalitionäre vermutlich noch ausreichend Zeit haben, den Standort zu loben und den stabilen Arbeitsmarkt zu feiern. Doch in ein paar Jahren wird deutlich werden, dass die Industrie nicht mehr da ist, dass die Wertschöpfungsketten zerrüttet und die Schlüsselbranchen woanders sind.