NSA und BND: Die Geheimdienste sind außer Kontrolle
Die Geheimdienste müssen dem Parlamentarischen Kontrollgremium berichten. Was, bleibt allerdings ihnen überlassen. Zeit für eine Ausweitung der Kompetenzen des Parlaments, findet unser Gastautor.
Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ist ein Ozean. Mit diesem Satz von Isaac Newton lässt sich der Wissensstand (besser: Unwissensstand) der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle am besten veranschaulichen. Während die Bundesregierung vorgibt, ahnungslos zu sein, ist das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) tatsächlich ahnungslos.
Es ist bezeichnend, dass nach der Sitzung des Gremiums vor gut zwei Wochen lediglich erklärt werden konnte, die deutschen Dienste hätten versichert, sie hätten von Spähprogrammen der USA und anderer Nachrichtendienste nichts gewusst. Ob diese Erklärungen der Wahrheit entsprechen, konnte das Gremium nicht feststellen. Welchen Sinn macht eine Kontrolle, in der die Kontrolleure sich allein auf die Zusicherung der zu Kontrollierenden verlassen müssen? Das wäre vergleichbar mit einer Fahrscheinkontrolle, bei der sich der Kontrolleur nicht die Fahrscheine der Fahrgäste zeigen lässt, sondern sich mit deren Zusicherung begnügt, sie besäßen einen.
Den Abgeordneten fehlen die Instrumente
Selten ist die Hilflosigkeit deutlicher geworden als nach jener Sitzung. Das hat Gründe. Die gesetzlichen, personellen und sachlichen Voraussetzungen sind für eine Kontrolle, die die Bezeichnung verdient, völlig ungeeignet. So verfügt das PKGr gar nicht über das technische Personal, um überprüfen zu können, welche Informationen sich in den Datenbanken der Nachrichtendienste befinden. Weder dem Gremium noch den Abgeordneten stehen IT-Experten als Mitarbeiter zur Seite.
Des Weiteren ist nicht präzise geregelt, über welche Tätigkeiten die Dienste informieren müssen. So haben sie bei ihren Berichten faktisch freie Auswahl, zu welchen Sachverhalten sie vortragen. Sie sind zwar gehalten, den Abgeordneten über die allgemeine Tätigkeit und besondere Vorkommnisse zu berichten. Da die Abgeordneten aber keine Kenntnis der Bandbreite geheimdienstlicher Arbeit haben, können sie auch nicht abschätzen, was ein „besonderes Vorkommnis“ ist.
Geheimdienstler halten Kontrollgremium für "Märchenstunde"
Dieser gesetzliche Konstruktionsfehler kann nur dadurch beseitigt werden, dass Regelfälle aufgeführt werden, in denen eine Berichtspflicht besteht. Dazu könnte etwa eine regelmäßige Unterrichtung der Abgeordneten über den Datenaustausch mit ausländischen Geheimdiensten gehören. Bei der bestehenden Gesetzeslage verwundert es daher nicht, dass Geheimdienstler die Sitzungen des PKGr als „Märchenstunde“ verspotten.
Darüber hinaus sind bestimmte Informationen für das PKGr gesetzlich tabu. Arbeitet der BND mit Informationen ausländischer Dienste, verbietet das Gesetz ausdrücklich einen Kontrollzugriff hierauf – es sei denn, der ausländische Dienst stimmt dem zu. So entsteht ein verfassungswidriger „kontrollfreier Raum“, den es in einer parlamentarischen Demokratie nicht geben darf. Ausländische Geheimdienste entscheiden nach der gegenwärtigen Gesetzeslage über den Umfang innerdeutscher demokratischer Kontrolle.
Notwendige Mehrheitsentscheidungen blockieren Kontrolle
Schließlich ist das Parlamentarische Kontrollgremium auch deswegen zahnlos, weil alle Kontrollbefugnisse an eine Mehrheitsentscheidung des Gremiums gebunden sind. Das bedeutet etwa, dass eine Kontrolle der Datenbanken der Nachrichtendienste vor Ort oder die Anhörung eines Mitarbeiters nicht von einem einzelnen Abgeordneten durchgesetzt werden können. Vielmehr ist hierzu ein Mehrheitsbeschluss des Gremiums erforderlich. Im Gremium verfügen die Regierungsfraktionen jedoch über die Mehrheit. Da ihr Bedürfnis, die eigene Regierung zu schädigen, naturgemäß gering ausgeprägt ist, bedeutet diese Regelung eine gesetzlich institutionalisierte Antriebsarmut.
Solange die einzelnen Kontrollrechte nicht jedem einzelnen Mitglied des Gremiums zustehen, erweist sich das Parlamentarische Kontrollgremium auch unter diesem Gesichtspunkt als Wachhund ohne Gebiss.
Wolfgang Neskovic ist ehemaliger Bundesrichter. Aus der Fraktion der Linkspartei im Bundestag ist er Ende 2012 ausgetreten und tritt nun als unabhängiger Kandidat an.