Leserkommentar: Die Europäische Idee am Scheideweg
Ein Grexit wäre eine Kapitulation, Griechenland nicht mehr helfen zu können, findet unser Leser Marcus Franke und verweist auf die Europäische Idee.
Im Verhalten zu bzw. der Umgang mit Griechenland seitens der Führung der Europäischen Union wird aktuell sehr deutlich, wie sich die Wahrnehmung der „Europäischen Idee“ in Bezug auf die Vorstellung was eine Gemeinschaft sein soll positioniert.
Die (wirtschaftliche) Situation Griechenlands ist geprägt durch die Politik und Entwicklung nicht der jüngsten Vergangenheit, sondern derjenigen bereits vor und mit dem Beginn bzw. der Einführung des gemeinschaftlichen europäischen Währungsraumes. Griechenlands Wirtschaftsniveau gehörte von Beginn an zu den schlechteren der inkludierten Staaten, was auch mit fehlender Transparenz Griechenlands hinsichtlich der damals vorgelegten Zahlen offensichtlich war. Der Euro nicht einzig ein Wirtschaftsprojekt, sondern eine politische Manifestation der sich selbst kapitalistisch definierenden Gemeinschaft, wollte schwache Volkswirtschaften im Namen der Europäischen Idee aushalten. Davon abgesehen, dass die großen Volkswirtschaften Europas selbstverständlich von der Eingliederung der Schwächeren im Sinne von niedrigschwelligen und damit kostengünstigeren Absatzmärkten profitieren, sollte von Beginn an klar gewesen sein, dass der Euro eine Maßnahme gemeinsamer politischer Identität war und genau deswegen die bereits frühen Bedenken unterschiedliche europäische Volkswirtschaften zentralisiert zu vereinheitlichen als Risiko akzeptierte.
Folgen der globalen Finanzkrise
Die Krise der griechische Wirtschaft hat sich insbesondere in Folge der sich 2008 globalisierenden Finanzkrise soweit verschärft, dass sie selbst nicht mehr in der Lage waren ihre sicherlich vorher geschaffenen Probleme aus eigener Kraft zu bewältigen. Dieses „Schicksal“ ereilte in diesem Zeitraum aber nicht nur Spanien, sondern auch weitere Mitglieder der Eurozone, worin sich erstmals deutlich zeigte, dass der gemeinsame europäische Währungsraum von außen erschüttert und damit seine inneren Probleme beschleunigt werden können. Die Problemlage Griechenlands war dann wahrscheinlich nicht nur die am tiefsten verwurzelte, sondern auch diejenige, die am schwersten zu beheben war, da die eigene autarke Leistungsfähigkeit Griechenlands am geringsten entwickelt gewesen ist.
Die Hilfsgelder in Kooperation mit Austeritätspolitik konnte die Volkswirtschaften z.B. Irlands, Portugals oder Italiens vorerst konsolidieren, aber dies erstens auf dem Rücken der Bevölkerung und zweitens mit sicherlich noch unbekannter Nachhaltigkeit.
Griechenland folgte diesem Wirtschaftspolitikkurs lange Zeit ohne große Widerworte. Doch es besserte sich trotz auferlegtem Spardiktates wenig bis gar nichts. Das von jeder Volkswirtschaft existenziell notwendige Wirtschaftswachstum blieb weiterhin aus, dass Abwärtsspirale drehte sich zu Lasten der breiten Bevölkerung weiter.
Nachhaltig Strukturprobleme lösen
Der entscheidende Punkt an dieser Stelle scheint mir die Frage, ob es konstruktive Reformvorschläge für die Initiierung von Wirtschaftswachstum basierend auf Reizverstärkung für Investitionswillen einerseits und/oder Reformvorschläge für eine konkrete und nachhaltige Auflösung von Wachstumshindernissen wie Korruption oder aufgeblähter Verwaltungsstrukturen andererseits gab?
Genau diese werden in der öffentlichen Debatte genauso wie im Diskurs des politischen Prozess vehement von der aktuellen Regierung eingefordert. Angeboten wird aber seitens der Troika nur verschiedene Varianten von bereits gescheiterter Austeritätspolitik garniert mit Mahnungen doch Reformen einzuleiten, die z.B. die Korruption beheben. Letzteres verbleibt in der Konkretheit eines Schlagwortes und fließt meines Wissens nicht im Ansatz als detailliert ausgearbeiteter Vorschlag in die Forderungen der Troika ein.
Dabei sollte man sich vergegenwärtigen, dass das Problem der Korruption einmal in Struktur und Bewusstsein etabliert sehr schwer wieder aufzulösen ist. Schaut man sich Staaten an, die mit dieser Problematik zu kämpfen haben, wird klar, dass es sich bei der Problemlösung nicht um eine Ad-Hoc Maßnahme handeln kann, sondern einer langfristige Strategie bedarf, welche nicht am Mangel von Geduld rückzahlungserwartender Akteure orientiert sein kann.
Was wären aber konkrete Ansätze Korruption zu minimieren? Zum einen sind es Maßnahmen in den eigenen staatlichen Strukturen gegen Korruption zu sensibilisieren und zum anderen Kontrollmechanismen zu installieren. Ersteres könnte noch relativ kostengünstig umgesetzt werden, wobei klar ist, dass dies Teil einer langfristigen Strategie zur Änderung des Bewusstseins ist, die allerdings zwangsläufig einhergehen muss mit der Installation von Kontrollmechanismen, damit diese einen nachhaltigen Erfolg haben können. Diese Nachhaltigkeit ist dann nicht auf 2, 5 oder 10 Jahre ausgelegt, sondern selbstverständlich erst über Generationen wirksam und damit für die Troika nicht zufriedenstellend, da ohne die Möglichkeit einer kurzfristigen Erfolgsmöglichkeit. Die notwendigen Kontrollmechanismen, also der Aufbau von Institution zur Identifikation und Verfolgung von Korruption wiederum verspricht einen durchaus schnelleren Erfolg, würde aber erst mal eine erhebliche Investition benötigen, also kein Geld generieren, sondern verbrauchen.
Fehlende Reformvorschläge abseits des Spardiktates
Hier wird der Widerspruch zur Ausrichtung zur Austerität sehr deutlich und begründet meiner Meinung nach, warum es eben keine konkreten Reformvorschläge der Troika ab von Spardiktat gab und gibt, denn dies würde eben nicht im Sinne einer vereinbarten Rückzahlungsmodalität wirken.
Das bringt uns aber nun zurück zum Gedanken in welchem Verhältnis der Umgang mit Griechenland zu einer wie auch immer gearteten Europäischen Idee liegt.
Griechenland steht am Pranger, weil es, z.T. auch selbstverschuldet, nicht in der Lage ist den Verbindlichkeiten gegenüber den europäischen Partnern nachzukommen. Die Realität scheint aber inzwischen zu sein, dass Griechenland im gegebenen Zeitraum endgültig nicht dazu in der Lage sein wird. Die Konsequenz ist die Diskussion und der immer konkreter werdende Plan bzw. die Absicht Griechenland aus der Eurozone zu entlassen; der sog. Grexit.
Eine Kapitulation Griechenland nicht mehr helfen zu können. Entschuldigung; eine Kapitulation Griechenland nicht mehr helfen zu können?
Angesichts der weiterhin bestehenden europäischen Möglichkeiten ist es vielmehr eine Frage des Willens als des Könnens. Natürlich kann man Griechenland helfen. Ein Schuldenschnitt wäre hier ein Anfang um die aktuell immens erdrückende Last auf Griechenland ein stückweit zu reduzieren und das Land aufatmen zu lassen.
Aber nicht nur das, sondern eben auch die Maßnahmen möglich zu machen, die Griechenland braucht um nicht einzig Kredite zurückzahlen zu können, sondern die zunächst kostenverursachenden Maßnahmen einzuleiten, die sicherlich nicht heute und auch nicht nächste Woche Wirkung zeigen, aber dafür besser gestern als morgen nötig gewesen wären, um überhaupt eine Zukunft Griechenlands in Aussicht zu stellen.
Eine vom eigenen Profit unabhängige Gemeinschaft
Darüber hinaus würde dies nicht nur bedeuten, dass der Standort durch nachhaltige Strategien vertrauenswürdiger werden könnte, diese dann tendenziell uneigennützige Unterstützung seitens der europäischen Partner wäre eine Demonstration sich an der Seite zu positionieren und zwar weil man zusammen eine Gemeinschaft sein will und zwar unabhängig vom eigenen Profit. Ganz im Gegenteil mit der Bereitschaft Opfer zu leisten um einem Partner zu helfen, selbst wenn dieser selbstverantwortlich in eine existenzielle Krise manövriert ist. In Anbetracht der nicht zu leugnenden Bedeutung der 2008er Weltwirtschaftskrise als essentiell verschärfendes Element sowie dem Festhalten an Austeritätspolitik gegenüber Griechenlands ohne Erfolgsaussichten, muss dies dann ohnehin in Frage gestellt werden, aber sollte im Kern des Gedanken im Sinne von heute sinnlosen Schuldzuweisungen keine Rolle spielen.
Dieser Kern ist Gemeinschaft nicht als Zusammenschluss zum eigenen Vorteil zu verstehen, sondern als Kollektiv gemeinsam füreinander einzustehen auch wenn dies bedeutet die Stärkeren die Schwächeren erst mal auf ihre Kosten zu stützen. Diese Idee von Gemeinschaft wäre ein Zeichen, dass die „Europäische Idee“ mehr ist als nur der Versuch des Einzelnen das Beste für sich herauszuholen, sondern im Gegenteil eine Gemeinschaft anzustreben, welche solidarisch füreinander da ist.
Es wäre im Angesicht der nicht zu leugnenden Systemkrise des Kapitalismus ein Schritt weg von der Prämisse des individuellen Konkurrenzprinzips hin zur Einsicht nur gemeinsam stark sein zu können. Ein Signal gegen die rechtspopulistischen Renationalisierungstendenzen und die überfällige Akzeptanz der maßgebenden Realität, dass die seit 7 Jahren offenbar gewordene Systemkrise nicht mehr im Muster von Keynes oder Friedmans zu lösen ist, sondern mit einer Idee der Solidarität begegnet werden muss. Dies wäre ein Bekenntnis zu einer „Europäischen Idee“, welche sich nicht mehr an einem verzweifelten Versuch klammert unvermeidbares Scheitern zu korrigieren, sondern neue Weichen stellen würde, unsere Probleme der Gegenwart zukunftsorientiert mit neuem Grundsatz zu begegnen.
Der Autor ist einer unserer aktivsten User im Forum des Tagesspiegels und firmiert dort unter Namen Broeckelhaus. Wir wollen künftig verstärkt längere Beiträge von Ihnen, liebe User, im redaktionellen Bereich als Leserkommentare veröffentlichen - und natürlich auch zur Debatte stellen. Solche Gastkommentare können Sie künftig gern an die dafür eingerichtete E-Mail-Adresse debatten@tagesspiegel.de schicken.
Marcus Franke