Einsatz in der Ukraine: Die Bundeswehr und der hybride Frieden
Deutsche Soldaten sollen den Waffenstillstand in der Ukraine überwachen. Der Bundeswehr steht eine ganz neue Art von Aufgabe bevor. Ein Kommentar.
Die Bundeswehr könnte vor einem neuen Auslandseinsatz stehen. Im Rahmen einer OSZE-Mission sollen 200 deutsche Soldaten mit Drohnen die Waffenruhe zwischen der Ukraine und prorussischen Separatisten überwachen, lautet das deutsche Angebot. Seitdem diese „Waffenruhe“ vereinbart wurde, starben nach UN-Angaben mehr als 300 Menschen bei Kämpfen im Donbass, es gibt täglich Gefechte um den Flughafen Donezk. Was genau also will die Bundeswehr in der Ostukraine überwachen?
Das russische Eindringen ins Nachbarland, gerade bei der Annexion der Krim, wurde von Experten als „hybrider Krieg“ beschrieben. Damit gemeint ist eine neue Dimension der Verschmelzung traditioneller und unkonventioneller Mittel, wie der Einsatz von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, verdeckt agierende Guerilla-Kämpfer, offene Propaganda und wirtschaftlicher Druck. Es ist ein Zustand, in dem es keine klare Trennung gibt zwischen Krieg und Nicht-Krieg. Was seit dem 5. September, dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Minsk, in Teilen des Donbass vorherrscht, ist ein hybrider Frieden.
Der Donbass lebt in einer konstruierten Scheinrealität
Die Menschen in Donezk und Luhansk leben in einer von der russischen Propagandamaschine konstruierten Scheinrealität: Sie kämpfen gegen den Faschismus und die weltweite Hegemonie des pervertierten Westens. Gleichzeitig erzählen ihnen die ukrainischen Medien in nicht weniger offen ausgelebter Subjektivität, dass sie alle Terroristen seien oder gar nicht vorhanden, denn für Kiew existieren keine prorussischen Ukrainer.
Dabei erleben die Menschen, wie immer neue Friedensbekundungen von immer neuer Gewalt begleitet werden. Sie bekommen aus Russland wirtschaftliche Hilfe und doch keine richtige Anerkennung. Sie wissen, dass der große Bruder aus Moskau mehr tun könnte – denn erzählt nicht täglich der Fernseher, wie toll es Russland geht, wie stark sein Militär ist, wie glänzend seine Perspektiven?
Die Wahrheit ist eine andere. Wladimir Putin steht vor den Scherben seiner Politik. Hatte er mithilfe des kleptokratischen Ex-Präsidenten Janukowitsch noch die ganze Ukraine unter Kontrolle, beherrscht er aktuell nur die Krim und einen kleinen Teil des Donbass. Die Dominanz über diese zwei Randgebiete hat ihn und mit ihm ganz Russland – seine Geisel – weltweit zum Paria gemacht. Eine jahrelange Rezession ist möglich, denn die aktuelle Melange aus niedrigem Ölpreis, Wirtschaftssanktionen des Westens und flüchtenden Investoren taugt für eine beispiellose Negativspirale. Profitiert hat nur Putins Ansehen bei den Russen, die ihn allerdings schon vorher mehrheitlich unterstützt hatten. Ein Sieg geht anders.
Die Demokratie in der Ukraine droht zu scheitern
Die russische Regierung wird den hybriden Frieden in der Ostukraine weiter zementieren. Mehr kann sie nicht, weniger ist einer hysterisch nationalchauvinistischen russischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Die Bundeswehr wird sich darauf einstellen müssen, dass um sie herum gekämpft, geschossen und gestorben wird, wenn sie die „Waffenruhe“ überwacht. Die Debatten über den maroden Zustand der Truppe lassen derweil auch Fragen nach ihrem Selbstverständnis aufkommen. Es wäre gut, wenn die Bundeswehr weiß, wer sie ist, und realistisch einschätzt, wohin sie geht, bevor die Soldaten losziehen.
Die Ukraine steht vor langen „griechischen“ Jahren. IWF-Kredite, so bezeichnete Reformen, also Massenentlassungen von Staatsdienern und die Verramschung von Staatseigentum, sowie der Ausverkauf durch die eigenen Eliten: Geschichte wiederholt sich. Die enttäuschten Ukrainer könnten sich, wie die Griechen, radikalen Kräften zuwenden. Dann würde die russische Erzählung von der faschistischen Junta in Kiew – auch dank des hybriden Friedens in der Ostukraine – zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Es ist gut, wenn die Bundeswehr sich engagiert, falls sie es denn kann. Aber statt der Überwachung eines nicht existierenden Friedens wäre die Regierung besser beraten, der Ukraine wirkliche wirtschaftliche Hilfe zukommen zu lassen, so teuer das auch ist und so sehr Forderungen nach einem Marshallplan für die Ukraine auch nerven mögen. Gleichzeitig muss jemand auf die momentan häufig vom Westen hofierten ukrainischen Politiker einwirken, die vor den Parlamentswahlen Ende Oktober mit Stimmenkauf, der Unterdrückung nicht nationalistischer Medien und schrillen Parolen genau jene Demokratie abschaffen, die aufzubauen sie alle angetreten sind.