Elena Senft schaltet nie ab: Die App, der Sport und die Faulheit
Wenn man morgens, nicht frei von Stolz, um eine gemeinhin noch als „zeitig“ geltende Uhrzeit aufwacht und sofort erfahren muss, dass Freundin Daniela bereits 70 Minuten Yoga hinter sich hat, beginnt der Tag mit einer saftigen Niederlage.
Ich habe zwei Wochen lang ein sehr modernes Fitness-Armband getragen, das hässlich aussah, aber große Wirkung verhieß.
Es hat gezählt, wann ich schlafe, es hat gezählt, wie viele Schritte ich gehe und wie viel Sport ich mache. Ein Kampf gegen das eigene Phlegma. Der größte Endgegner allerdings bin nicht ich selbst, sondern natürlich die anderen. Die Freunde nämlich, in deren Ergebnisliste ich Einblick hatte.
Es ist eine zuweilen hässliche Errungenschaft der modernen Welt, dass man so einfach beobachten kann, was die Mitmenschen so treiben. Und dass man mittels diverser Kanäle darauf hingewiesen wird, was man selber in dieser Zeit eben nicht getan hat, weil man „Der Bachelor“ geguckt oder geschlafen hat. 70 Minuten Yoga am Morgen zum Beispiel.
Früher war das einfacher. Da gab es als einzige Instanz, die einem die eigene Faulheit in Sachen körperlicher Ertüchtigung demütigend vor Augen führen konnte: die Mitgliedskarte des örtlichen Fitness-Studios, angeschafft durch eine Kombination aus gutem Willen und schlechtem Gewissen und dann ungenutzt mit sich herumgetragen als eine Kombination aus unnötigem Ballast und stummem Hohn. Wenigstens aber zumindest stumm. Außer von Zeit zu Zeit, wenn sie mal in dem Moment aus dem Portemonnaie purzelte, wenn man eigentlich die Kaffee-Stempelkarte herausfingern wollte, auf dass man den zehnten Frappuccino gratis bekomme.
Der erste Schritt zur Ruhigstellung des eigenen Gewissens im Frühling – der inoffizielle Saisonstart für Sport –, ist heute die blinde Anschaffung von Sport-Apps auf dem Smartphone, gepaart mit der Hoffnung, das schlechte Gewissen für eine gewisse Zeit ruhiggestellt zu haben. Man hat sich ja Mühe gegeben irgendwie und gute Absicht gezeigt. Ruhigstellen funktioniert in dem Fall allerdings nicht. Nicht jede App hält so still wie die Eierkoch-App, bei der man für ein optimales Ergebnis vorher auch die Meeresspiegel-Lage der eigenen geografischen Position eingeben muss.
Meine Jogging-App zählt jeden meiner Läufe in einer Stimmlage ein, die so klingt, als sei ich ein 90er- Jahre-Computerspiel mit dem Thema Autorennen. Und ehe das Late-Adopter-Gehirn den Finger stoppen kann, hat man schon versehentlich bei Facebook veröffentlicht, dass man für fünf Kilometer eine geschlagene Stunde gebraucht hat, und die Routenkarte beweist unmissverständlich, dass man dabei nicht – wie erstrebenswert und „schön“ wäre – durch Felder oder wenigstens durch sehenswerte historische Stadtzentren gerannt ist, sondern immer im Kreis auf dem Sportplatz an der Gleimstraße.
Noch nervtötender als die drillmasterhafte Lauf-App ist die App für mein täglich zu absolvierendes Ganzkörper-Kräftigungsprogramm, die sofort – nach eintägiger Faulheit – in larmoyantem Ton eine Nachricht schreibt, dass man nun „ein Herz“ von dreien verloren habe und besser am Ball bleiben solle, wenn es nicht noch ärger kommen soll. Was im Falle des Falles passiert, weiß ich nicht. Denn ich leiste ängstlich Folge. Unglaubwürdig klingt es dann natürlich, wenn man von einem Sportartikelhersteller in einem Newsletter darüber informiert wird, dass Sport ja etwas sein soll, dass man nur für sich selber macht. Fürs eigene Wohlbefinden. Niemals für andere.
Alles andere ist doch nur Pose. Das gilt besonders für dich, Daniela. Morgen mache ich 80 Minuten Yoga. Nachts.
An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.
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