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Demonstration unter dem Motto "Demokratie und Solidarität statt Fiskalpakt!" - Attac, Verdi und die NaturFreunde Deutschlands hatten dazu aufgerufen.
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Euro-Krise: Deutschland ist reif für den Rechtspopulismus

Viele Deutsche wünschen sich die D-Mark zurück, auch die Unzufriedenheit mit der Krisenpolitik wird immer größer. Das Terrain für eine eurokritische Partei rechts von CDU und CSU ist bereitet. Für die Union wird es nun kritisch.

Franz Schönhuber jubelte. Zwei Millionen Deutsche hatten seine Partei gewählt. Völlig überraschend zogen die Republikaner mit 7,1 Prozent und sechs Abgeordneten ins Europaparlament in Brüssel ein. Mit nationalistischen Parolen, dem Protest gegen den „Ausverkauf deutscher Interessen“ und dem Slogan „Europa ja – diese EG nein“ hatte Schönhuber das westdeutsche Parteiensystem aufgemischt. Der Parteichef und vormals populäre bayrische Fernsehmoderator wähnte sich bereits auf Augenhöhe mit seinem französischen Mitstreiter Jean-Marie Le Pen. Für den Politologen Claus Leggewie war damit im Juni 1989 europäische „Normalität“ in das bundesdeutsche Parteiensystem eingetreten.

23 Jahre ist das her. Es gab noch keine EU und keinen Euro, keinen Maastrichter Vertrag und kein Schengener Abkommen. Vor allem jedoch gab es keine Eurokrise. Doch während der Front National bei den französischen Parlamentswahlen im vergangenen Monat im ersten Wahlgang 13,6 Prozent der Stimmen erzielen konnte, fristen die deutschen Republikaner nur noch ein Sekten-Dasein. In ganz Europa haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten rechtspopulistische und europakritische Parteien in den nationalen Parteiensystemen etabliert, sogar an Regierungen wurden sie beteiligt. Nur um Deutschland macht die europäische Normalität weiterhin einen Bogen. Doch das könnte sich schon bald ändern. Die Voraussetzungen für den Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland scheinen so gut wie lange nicht mehr.

Die Bilder zur Euro-Krise

Seit zwei Jahren bestimmt die Eurokrise die politischen Schlagzeilen. Zwar reüssiert Kanzlerin Merkel als Krisenmanagerin, doch zugleich lehnt es eine Mehrzahl der Deutschen ab, Euro-Krisenstaaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien mit immer neuen Rettungspaketen und Milliarden-Bürgschaften zu helfen. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, den Bundestag und Bundesrat am Freitag mit Zweitdrittelmehrheit verabschiedet hat, stößt bei sehr vielen Wählern auf große Skepsis. Die Bereitschaft zu europäischer Solidarität ist begrenzt, die Angst vor Inflation, Rezession und sozialem Abstieg groß. Viele Deutsche wünschen sich sogar die D-Mark zurück. Je länger die Euro-Krise dauert, je mehr Euro-Länder sie erfasst, desto größer wird die Unzufriedenheit.

Eigentlich bietet die Eurokrise somit beste Voraussetzungen für den Aufstieg einer rechtspopulistischen und europakritischen Partei in Deutschland. Meinungsforscher verweisen seit Jahren auf das beträchtliche Wählerpotenzial rechts von der Union. Hinzu kommt, vor allem viele konservative Wähler von CDU und CSU fremdeln mit ihrer Partei. Sie werfen der Union eine schleichende Sozialdemokratisierung vor und vermissen auch jenseits der Europapolitik eine auf bürgerlich-christlichen Werten fußende Politik.

Doch gleichzeitig scheinen die Deutschen durch ihre Geschichte gegen populistische Verführungen von Rechtsaußen immunisiert zu sein. Viele haben es versucht, nicht nur Franz Schönhuber. Viele Parteien wollten in den letzten zwei Jahrzehnten den Wahlerfolg der Republikaner bei der Europawahl 1989 wiederholen. Doch über regionale Wahlerfolge kamen weder DVU und NPD noch die Stattpartei oder die Schillpartei hinaus. Mal versuchten sie es mit extremen Parolen und radikaler Systemkritik, mal mit gemäßigten Tönen und bürgerlichem Protest. Immer jedoch standen sie sich selbst im Weg. Sie stritten sich, agierten unprofessionell, taten sich schwer, kontinuierlich politisch zu arbeiten.

Stattdessen wandte sich die Parteienverdrossenheit der Deutschen in den letzten Jahren gegen den europäischen Trend nach links und ermöglichte die Erfolge der Linkspartei. Ihr gelang es, mit populistischen Parolen wie „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ und mit der Angst vor sozialem Abstieg erfolgreich Wähler zu mobilisieren, auch am rechten Rand.

Die Freien Wähler könnten als eurokritische Partei in den Bundestag einziehen

Mittlerweile sind die Protestwähler zu den Piraten weitergezogen. Doch ihnen wird es kaum gelingen, das rechtspopulistische Wählerpotenzial zu binden. Die Welt der Computernerds und digitalen Eliten lässt sich nur schwerlich mit konservativen Werten und der Rückbesinnung auf den Nationalstaat in Einklang bringen. Nur kurz erlagen die Piraten deshalb der Versuchung, sich als Partei der Eurokritiker zu profilieren.

So scheint der Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Es gibt keinen Grund dafür, warum sich das bundesdeutsche Parteiensystem dauerhaft von diesem europäischen Trend abkoppelt. Europa steht am Scheideweg. Einerseits zwingt die Eurokrise die EU-Staaten zu mehr Integration, zu Eurobonds, einer gemeinsamen Finanzpolitik und zur Aufgabe von Souveränitätsrechten. Gleichzeitig werden die Rufe nach weniger Europa auch in Deutschland schließlich immer lauter.

Die gesellschaftlichen Konfliktlinien, an denen eine rechtspopulistische Mobilisierung auch über die aktuelle Eurokrise hinaus gelingen kann, sind mittlerweile klar erkennbar. Der tiefe Riss, der die Anhängerschaft von Union und SPD von Europa, über die Globalisierung und ihre Folgen bis hin zur Einwanderung und den Islam in vielen aktuellen politischen Grundsatzfragen spaltet, ist unübersehbar. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach einfachen Antworten in einer immer komplexeren Welt sowie nach einer klaren Unterscheidung in Gut und Böse.

CDU, CSU und FDP haben diese Gefahr längst erkannt. Auch deshalb lassen sie Eurokritiker wie Wolfgang Bosbach, Peter Gauweiler oder Frank Schäffler gewähren. Auch deshalb versucht vor allem die CSU, sich als eurokritische Opposition in der schwarz-gelben Regierung zu profilieren. Doch das hat Grenzen. Vor allem dann, wenn SPD und Grüne in Sachen Europa nicht mehr als Mehrheitsreserve bereitstehen und Merkel im Bundestag auf die Kanzlermehrheit angewiesen ist.

Demonstration unter dem Motto "Demokratie und Solidarität statt Fiskalpakt!" - Attac, Verdi und die NaturFreunde Deutschlands hatten dazu aufgerufen.
Demonstration unter dem Motto "Demokratie und Solidarität statt Fiskalpakt!" - Attac, Verdi und die NaturFreunde Deutschlands hatten dazu aufgerufen.
© dpa

Vor allem die Freien Wähler könnten davon profitieren. Sie versuchen derzeit, sich als Partei der Eurokritiker und ESM-Gegner zu profilieren. Sie wenden sich eindeutig nach rechts, Gemäßigt zwar, aber populistisch. Erstmals wollen sie im kommenden Jahr zur Bundestagswahl antreten. Die Aussichten sind besser als von jeder anderen rechtspopulistischen Partei der letzten Jahrzehnte. Vor allem dann, wenn sich die Eurokrise in den kommenden Monaten weiter zuspitzt und die deutsche Wirtschaft in die Krise rutscht. Die Freien Wähler können auf gefestigte organisatorische Strukturen und große kommunalpolitische Erfahrung zurückgreifen. Seit 2008 sitzen sie zudem im bayrischen Landtag. Sage keiner, die Zeit bis zur Bundestagswahl sei zu kurz. Wie schnell Parteien quasi aus dem nichts Wahlerfolge erzielen können, haben zuletzt die Piraten eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Die Union kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass sich in Deutschland bislang jede rechtspopulistische Partei selbst geschlagen hat.

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