Krim-Krise: Der Westen muss Russland Grenzen setzen
Zu einem Imperium wird Russland nicht. Es besteht jedoch die Gefahr, dass es sich der imperialen Illusion hingibt, wenn es in Nachbarländer wie die Ukraine einmarschiert. Nun liegt es an der internationale Gemeinschaft, Moskau die Grenzen aufzuzeigen.
Wenn Russland sich die Ukraine einverleibt, wird es ein Empire, hat der amerikanische Strategie-Experte Zbigniew Brzezinski 1998 geschrieben. Würde sich Russland tatsächlich die Ukraine einverleiben, sie mehr oder weniger direkt in seinen Herrschaftsbereich eingliedern, würde das neue Empire allerdings sogleich an Überdehnung kollabieren. Denn Russland hat der Ukraine nichts zu bieten außer Unterwerfung.
In Russland selbst kann das Ausbleiben von Reform ausgeglichen werden durch Subvention des Staatshaushalts in Form von Gas- und Ölrenten; der Kreml ist nicht auf die Besteuerung einer produktiven Wirtschaft angewiesen. Im Gegensatz dazu kann die Ukraine auf Dauer mit mafiös-korrupten Strukturen nicht leben. Sie braucht eine echte Ökonomie, beruhend auf Arbeit und dem Regelwerk der Marktwirtschaft. Moskau kann zwar das vergleichsweise kleine Weißrussland subventionieren und es damit in seinem Orbit halten, nicht aber die große und bevölkerungsreiche Ukraine.
Die Gefahr ist also nicht, dass Russland wieder zum Imperium wird, dafür fehlt echte, auch echte wirtschaftliche Stärke. Die Gefahr ist vielmehr, dass sich Russland der imperialen Illusion hingibt. Wenn der Kreml meint, nach Belieben in Nachbarländern einmarschieren zu können, dann ist die große Transformation vom Imperium zum Nationalstaat, die 1991 begonnen hat, vorerst gescheitert.
Ein Imperium zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es Grenzen anderer Staaten nicht anerkennt. Aus Sicht des imperialen Zentrums sind Grenzen porös, durchlässig. Wenn es dem Imperium gefällt, kann es seinem Willen mit Militärgewalt überall dort Nachdruck verschaffen, wo es seine Dominanz und andere Interessen gefährdet sieht. Die territoriale Souveränität von kleineren Nachbarstaaten wird dementsprechend nicht anerkannt.
Moskau die Grenzen aufzeigen
Wenn der Westen jetzt nicht kollektiv die Kraft aufbringt, dem Kreml seine Grenzen aufzuzeigen, dann befördert er die Illusion, Russland sei ein Imperium. Wenn der Westen schwächelt, sieht sich Russland einem internationalen Umfeld gegenüber, das die Verletzung der elementaren Prinzipien der post-imperialen Ordnung, die territoriale Integrität und Souveränität von Staaten, toleriert und akzeptiert.
Die Aufgabe des Westens besteht deshalb darin, die zentrale Bedeutung von Grenzen als Bauprinzip der internationalen Ordnung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen kodifiziert ist, zu bestätigen und durchzusetzen. Wenn der Westen hier klar und deutlich bleibt, dann tut er Russland einen Gefallen: Er hilft dem Land, den Weg weiterzugehen, den so viele andere europäische Staaten schon gegangen sind, vom Imperium zum Nationalstaat. Tut der das nicht, dann gewinnt die imperiale Illusion in Russland wieder an Boden.
Das aber wäre fatal, für Russlands Nachbarn und für Russland selbst. Warum sollte Moskau, wenn es dieses Mal Erfolg hat, beim nächsten Mal nicht wieder in ähnlicher Weise operieren? Im post-sowjetischen Raum, aber auch darüber hinaus? Gibt es nicht viele andere Länder, in denen sich russische Minderheiten als Einfallstore für derartige Operationen anbieten?
Und umgekehrt: was ist der Wert von Souveränität für Russlands Nachbarn, wenn sie wissen, dass Moskau jederzeit offen oder verdeckt intervenieren kann, und zwar weitgehend ungestraft? Müssen sie dann nicht schon vorauseilend Russland Gehorsam leisten, um zumindest ein Minimum von Autonomie zu sichern? Ist nicht das Ausbleiben einer empfindlichen Strafe für die Verletzung elementarer Normen, wie jetzt im Fall der Krim, eine Einladung für Moskau, seine Nachbarschaft mit allen Arten von Druck gefügig zu machen? Und werden diese Nachbarn womöglich, um russische Intervention zu verhindern, mittelfristig massiv aufrüsten, mit der Folge einer Militarisierung der gesamten Region?
Der Westen hat die imperiale Illusion genährt
Verheerend ist diese imperiale Illusion aber auch für Russland selbst. Das Land müsste die Gewinne aus Öl und Gas in die überfällige Modernisierung des Landes investieren, und nicht in kostspielige und riskante außenpolitische Abenteuer. Ein aggressives Programm der Unterwerfung von Nachbarn stimuliert und fördert zudem bereits bestehende rechts-nationalistische, fremdenfeindliche Strömungen im Lande selbst und verringert damit den Spielraum für liberale Reform. Die deutschen Bemühungen, in Russland Wandel durch Annäherung zu schaffen, wären endgültig zum Scheitern verurteilt.
Der Westen hat in den letzten Jahren Fehler gemacht und damit die imperiale Illusion genährt. Bei der Abspaltung Südossetiens und Abchasiens von Georgien hat man beide Augen zugedrückt. Als Moskau im letzten Sommer eine Art Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine angefangen hat, um das Land daran zu hindern, sich mit der EU zu assoziieren, haben die europäischen Mächte geschwiegen.
In der Hoffnung, Putin möge zur Vernunft kommen, und aus Angst vor Konfrontation mit Russland hat man dem Kreml zuviel Raum gelassen und die falschen Anreize gesetzt. Das hat man in Moskau offenkundig als Ermunterung verstanden. Jetzt ist höchste Zeit, diese Fehler zu korrigieren, auch wenn das etwas kostet. Unterlässt es der Westen jetzt, dem Kreml deutlich zu machen, dass sichere Grenzen die Basis der internationalen Ordnung sind und dass der Westen diese Ordnung mit Macht zu verteidigen bereit ist, dann wird der Preis, den er beim nächsten Mal zu zahlen hat, erheblich höher sein.
Ulrich Speck ist Visiting Scholar bei Carnegie Europe in Brüssel.