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Ins Schwarze getroffen. Til Schweigers Debüt war offenbar ganz nach dem Geschmack der Zuschauer.
© dpa

„Tatort“: Der Tod macht erfinderisch

Til Schweiger hatte die besten Tatort-Einschaltquoten seit 1993. Die Krimi-Reihe ist und bleibt ein Phänomen, das ebenso rätselhaft ist wie einfach zu erklären.

Zwei haben am Sonntag alles richtig gemacht, die ARD und Til Schweiger. Mit seiner Premiere in der Krimireihe des Ersten hat Schweiger 12,57 Millionen Zuschauer angezogen. Der Kinostar wird Fernsehstar. Und die ARD sonnt sich im Erfolg: die besten Zuschauerzahlen seit fast 20 Jahren, 5,21 Millionen Seher aus der sonst so schmerzlich vermissten Gruppe der bis zu 49-Jährigen, Publikum aus allen Schichten – im „Tatort“ vereinen sich die Deutschen zum Fernsehvolk. „Wetten, dass..?“ war gestern, der ARD-Krimi ist das neue TV-Lagerfeuer. Mehr und mehr Menschen finden sich auch zusammen, um den „Tatort“ öffentlich oder privat gemeinsam anzuschauen und sich schon während der Ausstrahlung darüber auszutauschen. „Tatort“ goes Twitter.

Die Erfolgsgeschichte beginnt am 29. November 1970 mit dem „Taxi nach Leipzig“. Das sind mehr als 40 Jahre, für ein fiktionales Format ein sensationelles Alter. Der Erfolg ist, fast schon absurd, eine Folge des Nicht-Konzeptes im Zeitalter des Konzeptfernsehens. Die ARD steht gerne für die Übersetzung „Alle reden durcheinander“ ein, ebenso traktieren die neun Landesrundfunkanstalten das Prinzip „Alle senden durcheinander“. Das föderale Prinzip kann in Chaos und Blockade enden, beim künstlerischen Krimiprodukt, wo jeder mit Stolz und Eifersucht seins macht, entfaltet sich ein unerhörter Reichtum an Formen und Farben.

Hat alle Rekorde gebrochen: Til Schweigers erster Tatort.
Hat alle Rekorde gebrochen: Til Schweigers erster Tatort.
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Woche für Woche wechseln die Schauplätze, es werden konventionelle Storys, sozialkritische oder politische Stoffe verarbeitet, Zeitgeist und Aktualität wie beim Missbrauchsthema behandelt. Die Ermittlerteams sind auf rekordverdächtige 21 angewachsen, die „Kölner“ oder die „Münchner“ tauchen an Sonntagen auf, an denen die Zuschauer sie niemals erwartet hätten. Der „Tatort“ kennt kaum eine Regel, die nicht verletzt werden darf, aber er kennt einen unumstößlichen Termin, einen Muss-Vorspann und ein vereinbartes Ende um 21 Uhr 45. Darüber liegt ein Label, eine Spannungsklammer hält zusammen, was zusammengehört. Ein Ritual, das die Kraft zur Erneuerung, zur Verjüngung besitzt. Neue Sichtweisen auf den Kommissar wie beim Krimi aus Dortmund, neue Erzählweisen wie aus Frankfurt, wenn Ulrich Tukur mit seinem Tumor im Kopf korrespondiert, wenn das Leben transzendiert und der Zuschauer gleich mit.

Es gibt den U-„Tatort“, es gibt den E-„Tatort“. Der „Tatort“ aus Münster ist längst die beste Komödie im deutschen Fernsehen, der Schweiger-Krimi fokussiert auf Action und Empathie. Es gibt, oh ja, Konfektionsware, es gibt verknotete Mordfälle, wo in der 90. Minute irgendein Verdächtiger zwanghaft Zeugnis ablegen muss; es nerven überkommene Zeitlupen-Krimis wie jener aus Ludwigshafen, es gibt eine überbordende Tendenz, das Privatleben der Fahnder auszustellen und darüber einen packenden Fall zu vergessen. Der „Tatort“ ist so alt wie die Kritik am „Tatort“, es muss sie geben, denn nur in den Unterschieden und in der Unterscheidung entwickeln sich Zuneigung und Abneigung. Und doch. Über die Jahre und 865 Folgen hat sich bei acht, neun Millionen Zuschauern die Gewissheit festgesetzt: Der „Tatort“ ist nicht langweilig, er ist überraschend. Sollte eine Folge enttäuschen, wartet am nächsten Sonntag schon die nächste Premiere.

Quote trotz Qualität, Qualität trotz Quote. Am Sonntag um 20 Uhr 15 lösen sich die angeblichen Widersprüche im Anspruch auf. Und das Schönste am „Tatort“: Kriminell ist deswegen noch keiner geworden. Höchstens süchtig.

Joachim Huber

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