Mietexplosion: Der neue Häuserkampf
Die Mieten explodieren, der Wohnraum wird knapp – Menschen mit geringem Einkommen bleiben immer öfter vor der Tür, schreibt Renate Künast in ihrem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Dabei ist Wohnen ein Grundbedürfnis, das für alle bezahlbar, lebenswert und ökologisch sein muss.
In Berlin und anderen Großstädten wird Wohnraum knapp. Wie ein Pendel schlägt die europäische Finanzkrise zurück und löst einen unvergleichlichen Run auf Immobilien in Deutschland aus. Die Mietpreise explodieren. Innerhalb nur eines Jahres haben sich in Berlin die Neuvertragsmieten um 8 Prozent verteuert. In manchen Bezirken bedeutet dies einen Anstieg um 15 Prozent. Studierende und Menschen mit geringerem Einkommen bleiben immer öfter vor der Tür.
So wird der Mietwohnungsmarkt immer mehr zum Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft, er sortiert und grenzt aus. Wer keine Pariser Verhältnisse haben will – die Reichen in attraktiven Innenstadtbezirken, die Armen in den Banlieues –, der muss Mut zur Gestaltung haben.
Lebenswerte Städte und Stadtviertel basieren auf einer Vielfalt von Einkommensschichten, Altersklassen, Lebensentwürfen. Gefordert werden muss, die vorhandenen Instrumente des Mietrechts zu nutzen und Kommunen strenge Mietobergrenzen dort zu ermöglichen, wo es an Wohnraum mangelt. Kreativität ist gefragt: Das rot-grün regierte München verpflichtet Investoren, bei Neubauten immer auch günstige Wohnungen bereitzustellen.
Doch nicht nur Wohnungssuchende sind auf neue Regeln angewiesen. Immer öfter werden Bestandsmieter mit juristischen Winkelzügen aus ihren Wohnungen gedrängt. Die gängige Methode: teure Luxusmodernisierungen wie der Einbau „goldener“ Wasserhähne, feudaler Einbauküchen und der Anbau von Balkonen. All das treibt die Umlage für die Mieter steil nach oben. Bestandsmieten werden unbezahlbar und Altmieter zum Auszug gezwungen. So beginnt die Gentrifizierung – die Verdrängung aus Stadtteilen.
Verquickt mit der energetischen Gebäudesanierung bergen Luxusmodernisierungen sozialen Sprengstoff. Dabei muss man beachten: Seit 2005 sind Öl- und Gaspreis um 60 beziehungsweise 30 Prozent gestiegen. Gut gemachte energetische Sanierungen senken den Energiebedarf gewaltig und bewahren Mieter vor steigenden Energiepreisen. Klimaschutz und bezahlbare Nebenkosten passen also zusammen. Aber dafür braucht es jetzt einen Energiesparfonds, der auch Zuschüsse zur energetischen Wohnungssanierung zahlt, damit weniger auf die Kaltmiete umgelegt wird. Für die Finanzierung ist kein Sondervermögen nötig. Allein der Abbau von umweltschädlichen Subventionen birgt ein Potenzial von 7,5 Milliarden Euro. Zudem muss die Modernisierungsumlage von elf auf neun Prozent reduziert werden. Das wäre sozial.
Die Energiewende im Gebäudebereich verlangt eine neue gesellschaftliche Verständigung, damit es einen Modernisierungsschub gibt, gerade auch in Berlin. Die Regierung Merkel aber macht das Gegenteil und errichtet neue Gräben. Mit der Behauptung, Eigentümer zur energetischen Sanierung zu motivieren, baut sie systematisch Mieterrechte ab. Ihre Mietrechtsnovelle will während der ersten drei Monate der Sanierung das Recht auf Mietminderung abschaffen. Praktisch heißt das: Gerüst vorm Fenster, keine Heizung, aber volle Miete. Was soll das? Kein Vermieter ist dadurch eher bereit, ein Mietshaus zu sanieren. Und unter dem Vorwand, das Mietnomadentum zu bekämpfen, wird die Räumung gegenüber allen Mietern beschleunigt.
Merkels Regierung hat kein Konzept für eine erfolgreiche und bezahlbare energetische Sanierung von Wohnungen. Die Mieter zahlen immer mehr, nur die Vermieter haben zu lachen.
Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Wohnung ist das Zentrum unseres Lebens, unser privater Rückzugsort, wo Familien miteinander leben und Menschen auch im Alter selbstständig leben möchten. Dass dieses Grundbedürfnis für viele gefährdet ist, muss ein Alarmzeichen sein. Wohnen für alle muss bezahlbar, lebenswert und ökologisch sein. Nur dann haben wir lebenswerte Städte und Gemeinden.
Die Autorin ist Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis90/ Die Grünen.