Bernie Ecclestone: Der Große Preis von München
Formel-1-Chef Bernie Ecclestone kommt für eine Zahlung von 100 Millionen Dollar frei. Das scheint den Volksspruchweisheiten recht zu geben: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Aber so einfach ist das nicht. Ein Kommentar.
So etwas hat es noch nie gegeben in der deutschen Justizgeschichte. Da steht ein Mann wegen des Vorwurfs der Bestechung und Anstiftung zur Untreue in einem besonders schweren Fall vor Gericht, der Prozess läuft bereits mehrere Monate – und plötzlich bietet der Angeklagte 100 Millionen Dollar an und gilt wenige Tage später wieder als unbescholten, geht und bleibt ohne Vorstrafe. Für bar, fürwahr: kein formeller Freispruch, doch einer der Extraklasse.
Was der britische Milliardär und Rennwagen-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone mit der Münchner Staatsanwaltschaft und dem Landgericht dort ausgehandelt hat, ist ein Überraschungscoup, der erst am vergangenen Wochenende ruchbar wurde. Und mit der gestrigen Entscheidung des Gerichts hat der Deal so schnell Rechtskraft erlangt, als hätte die Justiz schon Sorge gehabt, Mister Ecclestone könnte sich noch anders besinnen. Nicht einmal auf Euro-Basis, wie bei Geldbußen oder Vergleichzahlungen üblich, hat man sich da zu verhandeln getraut.
Geld riecht, das weiß jeder, der dafür eine Nase hat. Aber angeblich stinkt es nicht. Der Deal von München scheint im ersten Moment den Volksspruchweisheiten recht zu geben. Die Kleinen hängt man, die Großen (und Reichen) lässt man laufen, so heißt es ja gerne. Doch tatsächlich endet der Rechtsstaat nicht, weil ein Angeklagter gleicher oder reicher als andere wirkt. Zumal der Ecclestone-Prozess nicht im Geheimen stattfand, sondern im Licht der Medienöffentlichkeit. Und der Münchner Richter war derselbe, der vor zwei Jahren den früheren Banker der staatlichen BayernLB Gerhard Gribkowsky wegen Bestechlichkeit zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt hatte. Gribkowsky war von Ecclestone laut damaligem Urteil durch 44 Millionen Dollar Schmiergeld zum Verkauf bestimmter Anteile, welche die Bank an der Formel 1 hielt, veranlasst worden.
Bernie Ecclestone muss Eine Million für eine gemeinnützige Einrichtung zahlen
Der Bestochene also hockt im Knast, und der Bestecher kauft sich frei? Was diesen Anschein hat, ist juristisch doch komplizierter. Nach Paragraf 257c der Strafprozessordnung kann es vorab zu einer Verständigung über den Umfang des weiteren Verfahrens und die Höhe des möglichen Strafmaßes kommen, wenn der Angeklagte mindestens eine Teilschuld zugibt und Bereitschaft zur Buße zeigt, was meist heißt: zu einer Bußzahlung. Anders im Fall Ecclestone. Hier wurde das Verfahren aufgrund von Paragraf 153a der Strafprozessordnung eingestellt, gegen eine Geldzahlung, die der Staatskasse und – die Rede ist von einer der hundert Ecclestone-Millionen – einer gemeinnützigen Einrichtung zugutekommen soll.
Diese Variante setzt allerdings voraus, dass laut Gesetz damit „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ entfällt und „die Schwere der Schuld“ dem nicht entgegensteht. Die Delikte, deren Ecclestone angeklagt war, hätten zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren führen können. Also ging es nicht um das Gewicht der möglichen Schuld, allenfalls um deren Beweisbarkeit. Zeugenaussagen des bereits verurteilten Gribkowsky freilich wirkten nun widersprüchlich, und der gewiefte Bernie Ecclestone erweckte den nicht so leicht widerlegbaren Eindruck, von Gribkowsky erpresst worden zu sein. Herr G. habe ihm, Mister E., mit Anzeigen bei den britischen Steuerbehörden gedroht – eine feine Verteidigung. Außerdem habe er nicht gewusst, dass die BayernLB eine staatliche Bank und der Vorstandsbanker damit Amtsträger gewesen sei, sozusagen ein Mann mit Schmiergeldverbot. Schlitzohrig, auch das.
Rechtsstaat vs. Bernie Ecclestone: Nicht bestechlich, aber ein bisschen käuflich
Wenn ein Gericht aber, trotz starken Tatverdachts, diesen nicht sicher beweisen kann, dann muss es den Angeklagten freisprechen. Ohne alle Deals. Darin hätte in einem Rechtsstaat das auch im Paragrafen 153a genannte „öffentliche Interesse“ bestanden. Grotesk ist jetzt: Man müsste Ecclestone fast schon gegen seinen erfolgreichen Freikauf verteidigen. Klar, der Mann ist 83 Jahre alt und ein langwieriges Verfahren wäre ihm eine Last. Er kann sich die Millionen ohnehin leisten. Aber so viel Geld von ihm zu nehmen, ist auch ein Coup. Der arme Staat wirkt darob noch nicht als bestechlich. Aber ein bisschen käuflich ist er schon.