Alternativmedizin: Der grenzenlose Irrglaube der Homöopathie
Die "Homöopathen ohne Grenzen" wollen die Ärmsten der Welt mit Globuli behandeln - und richten mit dem absurden Ansinnen Schaden an. Denn wo das Gesundheitssystem ohnehin schwach ist, werden so Ressourcen für Quacksalberei abgezogen.
Als hätten sie nicht genug gelitten! Wer auf Haiti das Erdbeben vom 12. Januar 2010 überlebt hatte, wurde neun Monate später Zeuge der nächsten Katastrophe. In dem bitterarmen Land brach Cholera aus – erstmals seit 100 Jahren. 650000 Menschen erkrankten, 8300 starben. Eingeschleppt hatten den Erreger vermutlich UN-Soldaten aus Nepal, die in der Friedenstruppe dienten. Weil das Abwassersystem auf ihrem Stützpunkt kaputt war, landeten die Bakterien im größten Fluss der Insel und damit im Trink- und Badewasser von Millionen Menschen. Ob die Vereinten Nationen die Opfer und ihre Familien entschädigen müssen, klärt nun ein New Yorker Gericht.
Was der UN passiert ist, ist tragisch. Zynisch wurde es erst danach: Unter denen, die den Cholera-Opfern zur Hilfe eilten, waren ausgerechnet die „Homöopathen ohne Grenzen“. Schließlich hatte Homöopathie-Begründer Samuel Hahnemann schon in den 1830er Jahren Cholera behandelt! Erfolgreicher als die „Schulmedizin“! Das stimmt. Denn anders als die Ärzte seiner Zeit ließ Hahnemann die Cholerakranken nicht zur Ader (er entzog den durch Durchfall und Erbrechen Geschwächten also keine Flüssigkeit), sondern gab ihnen Kampfer und Mineralwasser. Ein Zufallstreffer.
Die Medizin allerdings ist nicht beim Aderlass stehen geblieben. Louis Pasteur und Robert Koch haben Bakterien als Auslöser von Infektionskrankheiten erkannt. Cholera wird seit Jahrzehnten mit Elektrolytlösungen und in schweren Fällen mit Antibiotika behandelt. Beides ist billig, hat herzlich wenig mit „Big Pharma“ zu tun und hilft. Die Homöopathen dagegen setzen auf die verdünnte „Ursubstanz“ Phosphorus, die angeblich im Handumdrehen wirkte.
Über derartige Wunderheilungen und so viel Traditionsbewusstsein könnte man sich lustig machen. Dieter Nuhr hatte beim Satiregipfel Mühe, dem Publikum zu versichern, dass „Homöopathen ohne Grenzen“ kein Kalauer ist. Doch im Internet erklären sanft lächelnde Gutmenschen, wie sie Menschen in Krisengebieten mit ihrer Heilslehre beglücken. In Bosnien-Herzegowina und Mazedonien gebe es schon Vereinigungen für klassische Homöopathie. Sie sollen unter anderem Traumapatienten helfen. Traditionelle Hebammen in Kenia würden mit ihrem Homöpathie-Zusatzwissen bei komplizierten Geburten „Leben retten“, verkünden sie im Netz. Hilfsbedürftige seien so besser versorgt.
Stolz berichten die „Homöopathen ohne Grenzen“, wie sie eine Infrastruktur für Hahnemanns Jünger schaffen. Sie nennen es „humanitäre Hilfe“. Tatsächlich sei das Treiben nicht humanitär, sondern Ausbeutung, ätzte der Medizinethiker David Shaw von der Universität Basel im „British Medical Journal“. Die Freiwilligen von „Homöopathen ohne Grenzen“ mögen das Leid auf Haiti etwas gelindert haben, schließlich verteilten sie auch sauberes Wasser und Nahrungsmittel. Ihre Mittelchen dagegen waren bestenfalls Placebos. Wenn sie auf der Insel „homöopathische Apotheken“ aufbauen und Menschen ausbilden, steige die Wahrscheinlichkeit, dass kranke Haitianer auch künftig keine wirksamen Medikamente bekommen.
Das Missionieren für die Homöopathie schadet denen, die Hilfe am dringendsten brauchen: Die Organisation täuscht sie mit nicht einlösbaren Heilsversprechen, verstärkt durch die Namensähnlichkeit mit den „Ärzten ohne Grenzen“. Wo das Gesundheitssystem ohnehin schwach ist, zieht sie Ressourcen für Quacksalberei ab. Und sie sammelt Spenden. Geld, das später anerkannten Hilfsorganisationen fehlt. Für ihre Widerstandskraft gegen die Wirklichkeit haben nun die Skeptiker (genauer: die Wiener Regionalgruppe der Gesellschaft für Kritisches Denken) den „Homöopathen ohne Grenzen“ das „Goldene Brett“ verliehen: „Es kann kaum eindrucksvoller demonstriert werden, wie gefährlich es ist, wenn die Wirkungslosigkeit der Zuckerkügelchen sich mit der Hybris der Homöopathie paart, alles und jeden heilen zu können“, heißt es in der Begründung. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, eine Wirksamkeit gegen Aids und Malaria zu suggerieren.
Infektionen, Unterernährung, Kriegsfolgen – in Hahnemanns Apotheke findet sich etwas! Angesichts solch grenzenlosen Irrglaubens kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben das „Goldene Brett“ verdient.
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