Berliner Schulen: Der Doppeljahrgang hat das Probejahr bestanden
Trotz aller Hysterie: Das verkürzte Abitur hat sich in Berlin bewährt. Anstatt schrille Diskussionen zu führen, sollten wir uns jetzt darauf besinnen, was das Gymnasium überhaupt ausmacht.
Die Fähigkeit, sich über schulpolitische Glaubensfragen aufzuregen, ist unter Berlinern im Allgemeinen und Eltern im Besonderen nicht gerade schwach ausgeprägt. Ein gutes Beispiel ist die Schulzeitverkürzung: Jahrelang wurde die vermeintliche Überlastung und Benachteiligung des Reformjahrgangs beklagt, inzwischen zeichnet sich ab, dass die jüngeren Schüler, die nur zwölf Jahre Zeit hatten, das Abitur ganz passabel hingekriegt haben.
Ja, es wurde für das gewonnene Jahr ein Preis bezahlt: Die Schultage sind länger geworden, den Kindern und Jugendlichen bleibt etwas weniger Freizeit. Dennoch haben Berlins Schüler nie ernsthaft dagegen angekämpft – und erwiesen damit mehr Realitätssinn als ihre Eltern, die die Reformschraube noch immer zurückdrehen wollen – ausgerechnet jetzt, nachdem die Gymnasien so viel Kraft in neue Organisations- und Fördermodelle gesteckt haben: Diese Modelle müssen reifen, damit sie noch mehr greifen können.
Wer zum Langabitur zurück will, hat schon vergessen, wie viel Leerlauf es in der elften Klasse gab. Schüler berichten, dass sie hier regelrecht das Lernen verlernten, weil die Noten nicht für das Abitur zählten. Wer es sich leisten konnte, legte ein Auslandsjahr ein, aber das war eben nur ein Bruchteil der Schüler. Wer Fernweh hat, kann das auch nach dem Abitur befriedigen, oder er kann in der zehnten Klasse mal ein paar Monate weg.
Was die Gymnasien jetzt brauchen, ist keine neue Diskussion um das verkürzte Abitur, wie es der Landeselternausschuss anstrebt. Benötigt wird vielmehr eine Besinnung darauf, was das Gymnasium überhaupt ausmacht. Dabei wird man dann auch unweigerlich zu der Frage kommen, ob es klug ist, jedes Kind auf das Gymnasium zu lassen und dann abzuwarten, wie viele im Probejahr scheitern.
Die Politik sollte mit dieser scheinbaren Wahlfreiheit der Eltern nicht mehr so tun, als wären Gymnasium und Sekundarschule austauschbar. Mit gutem Grund haben alle Gymnasien eine eigene gymnasiale Oberstufe, die zum Abitur führt. Mit gutem Grund wurde entschieden, dass man auf der Sekundarschule generell dreizehn Jahre zum Abitur Zeit hat, im Gymnasium aber nur zwölf. Es spricht auch für Berlin, dass es innerhalb der beiden Systeme durchlässig ist: Gute Schüler können in den Sekundarschulen die elfte Klasse überspringen und ebenfalls in zwölf Jahren das Abitur machen, während die schwächeren Gymnasiasten einfach ein Jahr wiederholen können, wenn ihnen das Tempo zu schnell geworden ist.
Berlins Eltern sollten aus dem jetzigen Doppeljahrgang, der so glimpflich über die Bühne ging, vor allem eines lernen: Es geht hier nicht um Gut und Böse und schon gar nicht ums Überleben. Wenn sie die Diskussionen um die Schulen etwas weniger schrill führen würden, täte das auch ihren Kindern gut. Was letztlich zählt, ist nicht die Zahl der Unterrichtsstunden, sondern eine gute Klassengemeinschaft, ein zugewandter Lehrer und ein Elternhaus, das sich für die Schulangelegenheiten seiner Kinder interessiert – ohne Hysterie.