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Mit einem Transparent gegen den Verfassungsschutz demonstrieren Gegner der NPD-Veranstaltung "Rock für Deutschland" auf dem Puschkinplatz in Gera.
© dpa

Kontrapunkt: Den Verfassungsschutz abschaffen – warum nicht?

Andere Länder kennen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst gar nicht, in Deutschland ist es so etwas wie eine heilige Kuh. Warum es an der Zeit ist, ein Tabu zu brechen.

Tabus leben so lange, bis man sie bricht. Und gebrochen werden sie, weil nicht mehr erkennbar ist, warum das Tabu einen Sinn hat. Zu den Tabus in der deutschen Politik gehört das Trennungsgebot bei Polizei und Geheimdiensten. Andere Länder kennen das gar nicht, in Deutschland ist es eine heilige Kuh. Die historische Erfahrung vor allem wird genannt, wenn man verhindern will, dass Polizei und Verfassungsschutz zusammenarbeiten. Die Polizei soll keine geheimdienstlichen Aufgaben und Mittel haben, der Geheimdienst keine exekutiven Befugnisse. Aber passt das noch in die Zeit? Und daran schließt sich die Frage an: Passt die ganze innere Sicherheitsstruktur noch, brauchen wir getrennte Sicherheitsbehörden? Können und sollten wir nicht den Verfassungsschutz abschaffen?

Die Zweifel an der Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes wachsen – mit jeder Panne, mit jedem Skandal. Gerade im Umgang mit dem Rechtsextremismus sieht es zurzeit so aus, als ob der Innengeheimdienst nicht effizient genug und vor allem auch nicht kontrolliert genug arbeitet. Und da man nun annehmen muss, dass die Grenzen zwischen Rechtsextremismus, Terrorismus und ordinärer Kriminalität verwischt sind, sind Effizienz und Kontrolle erst recht gefragt. Das Schlimmste, was passieren kann, ist der Verdacht, dass Extreme und Kriminelle Einfluss auf die Arbeit des Geheimdienstes haben und nicht umgekehrt. Und diesen Verdacht kann man nicht mehr so einfach von der Hand weisen.

Schon das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren hat gezeigt, dass etwas faul sein könnte beim Verfassungsschutz. Wie anders lassen sich die Zweifel der Karlsruher Richter an der Rolle der V-Leute, der Spitzel, denn erklären? Sie tauchen nun im neuen Verbotsverfahren wieder auf. Und jetzt noch die Pannen und unerklärlichen Aussetzer des Dienstes im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund. Zwei Männer und eine Frau, zehn Morde, ein düpierter Verfassungsschutz. Das weckt Zweifel an seiner Rolle und damit an seiner Existenzberechtigung. Wäre der Rechtsextremismus in Deutschland eigentlich schlimmer, verbreiteter, erfolgreicher, wenn es die Spitzelbehörde nicht gäbe?

Schon heute gibt es den Staatsschutz, dessen Aufgaben sich mit dem des Verfassungsschutzes überschneiden.

Dass eine Auflösung der föderalen Struktur viel bringen würde, kann man getrost vergessen. Die Behörde würde nicht besser, es ginge allenfalls die Kontrollmöglichkeit durch die Landtage verloren. Mehr Personal, engere Aufsicht, fähigere Führungskräfte – nein, auch das brächte wenig.

Im Fall der NSU-Morde hat der Verfassungsschutz versagt. Das sind die Opfer:

Also sollte man sich der Überlegung nähern, ob nicht die Auflösung des Verfassungsschutzes und die Übertragung seiner Aufgaben auf die Polizei eine realistische Möglichkeit wäre. Und bevor jetzt alle Tabuhüter aufheulen: Man sollte das gründlich debattieren – und sich nicht von der Tatsache ablenken lassen, dass sich bisher nur die Linke dafür erwärmt, aus durchsichtigen Gründen, weil sie nicht möchte, dass Licht in ihre Schmuddelecken fällt.

Schon heute gibt es bei der Polizei den Staatsschutz, dessen Aufgaben sich mit dem des Verfassungsschutzes überschneiden. Schon heute arbeitet auch die Polizei präventiv. Schon heute bedient sich das Bundeskriminalamt beim Einsatz gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität einiger Mittel, die geheimdienstlich sind. Da gibt es aber Kontrollen, durch Richter, durch Parlamente, auch eine Selbstkontrolle innerhalb der Polizei. Klappt die beim Verfassungsschutz ebenfalls? Im Fall der NSU-Morde hat auch die Polizei nicht gut ausgesehen, aber immerhin haben Bund und Länder sowie die Länder unter sich kooperiert (wenn auch mit Fehlern).

Die entscheidende Kategorie in einer Demokratie ist das Vertrauen in staatliche Instanzen. Und so frage man sich selbst: Hat man mehr Vertrauen in eine Polizei mit erweiterten Aufgaben bei dann auch erweiterter Kontrolle und Begrenzung? Oder in den Verfassungsschutz, wie er sich heute präsentiert? Die andere Möglichkeit wäre eine Zentralisierung hin zu einem reinen Bundesamt. Aber hätte man da mehr Vertrauen? Die Gefahr wiederum, mit einer Stärkung der Polizei am Ende bei einem deutschen FBI zu landen, lässt sich dadurch dämpfen, dass man an der föderalen Struktur der Polizei festhält. Sie ist ein wirksames Kontrollelement.

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