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Nach der Wahl. Die AfD denkt über ihre Zukunft nach.
© dpa

Alternative für Deutschland: Dem Volk aufs Maul schauen

Alexander Gauland ist Gründungsmitglied der "Alternative für Deutschland". Er sieht seine Partei nach der Bundestagswahl in einem Dilemma. Worauf die AfD künftig setzen sollte, schreibt er hier in einem Gastbeitrag.

Die Medien hatten so unrecht nicht: Die Alternative für Deutschland steckt in einem Dilemma. Die junge Partei hat ein furioses Wahlergebnis erzielt und doch ihr Ziel nicht erreicht. Sie hat den „Euro-Wahnsinn“ in den Mittelpunkt ihrer Programmatik gerückt und muss doch erkennen, dass dies - wenigstens solange eine Inflation nicht fühlbar ist und die Milliardenverluste bei der griechischen  „Rettung“ noch nicht eingetreten sind - von vielen Menschen als theoretisches Gepäck und keine unmittelbare Bedrohung ihrer Existenz empfunden wird.

Politik wird selten über den Kopf wahrgenommen, sondern als Bauchgefühl erlebt und das Bauchgefühl vieler Menschen ist noch immer: Mutti macht das schon. Dazu kommt in Deutschland der Verlust des Sinns für die eigenen Interessen. Wir sind gut zu allen Menschen und Freunde fürs Leben. Das muss reichen. Erstaunt nehmen die Deutschen plötzlich zur Kenntnis, dass Amerika auch gegenüber Freunden Interessenpolitik betreibt, getreu dem Motto des englischen Premiers Palmerston: Es gibt keine ewigen Freundschaften, es gibt nur ewige Interessen. Statt also zu lamentieren, hätte die deutsche Öffentlichkeit sich fragen müssen: Warum machen wir das eigentlich nicht?

Doch diese gutmenschliche Gefühligkeit hat nicht nur in der Außenpolitik ihre Spuren hinterlassen. Sie dominiert auch die Innenpolitik und bestimmt den gesellschaftlichen Diskurs. Zurückgeblieben sind jene Menschen - junge wie alte - die bewusst oder unbewusst dem linksliberalen Mainstream skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Deren Gefühl speist sich aus vielen Quellen. Da gibt es junge Frauen, die nicht mehr hinnehmen wollen, dass ihr Lebensentwurf einer häuslichen Erziehung der Kinder wenigstens in den ersten Jahren von allen maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen mit einem Unwerturteil belegt wird. Da gibt es jene Klimaskeptiker, die zwar auch nicht genau wissen, ob und wie der Mensch das Klima verändert, die aber nicht als „Klima-Leugner“ verunglimpft und so in die Nähe der Auschwitz-Lüge gerückt werden wollen.

Da gibt es viele, die das ganze Gender-Mainstreaming für eine große Narretei halten und korrekte Märchen, eine feministische Bibel oder die neuen weiblichen Schriftformen für die Erfindung von Menschen, die sonst keine Sorgen haben. Da gibt es viele Ältere, die sich nicht länger einreden lassen wollen, dass alle deutsche Geschichte vor Hitler verfehlt war, und Deutschland natürlich auch am Ersten Weltkrieg die alleinige Schuld trifft. Schließlich steht es in dem Buch „Die Schlafwandler“ des englisch-australischen Historikers Clark ganz anders. Da wollen viele Menschen ihre Industriearbeitsplätze behalten und wenigstens die heimische Braunkohle als Energiebasis, nachdem schon das Ruhrgebiet abgewickelt wurde. Und sie sehen auch nicht ein, warum sie mit hohen Strompreisen die Solaranlagen ihrer wohlhabenden Nachbarn finanzieren sollen. Man könnte diese Aufzählung unendlich fortsetzen. Die multikulturelle Euphorie ist längst der Sorge vor Einwanderergruppen gewichen, die sich Land und Leuten nicht anzupassen gedenken, und unser Schulsystem treibt immer mehr Menschen mit ihren Kindern auf Privatschulen, wofür sie sich dann von Gesellschaftsingenieuren und Gleichheitsaposteln beschimpfen lassen müssen. Der Bundespräsident hat nicht ganz unrecht, wenn er das Lebensgefühl dieser Menschen als bewahrend und die Übersichtlichkeit suchend beschreibt, nur dass er in Schloss Bellevue ihre Probleme nicht kennt, wenn er sie als vorübergehende Anpassungsschwierigkeiten beschreibt.

Für all diese gesellschaftlichen Erscheinungen haben die Altparteien kaum noch ein Sensorium und behelfen sich gern damit, Warner und Mahner als rechte Populisten zu beschimpfen, als ob Populismus seit Luther etwas anderes hieße, als dem Volk aufs Maul zu schauen. Nun ist es richtig das die AfD nicht alle Übel heilen kann, aber sie muss schon, wenn sie überleben will, jenen Menschen wieder eine Stimme geben, die keine mehr haben und deren Lebensgefühl im öffentlichen Diskurs nicht mehr vorkommt. Das kann und wird immer von Neuem zu Konflikten führen, zu Grenzüberschreitungen wie Trennungen und erfordert eine Führung mit Augenmaß. Doch nur wenn die AfD diese Aufgabe annimmt, und das Spektrum der politischen Debatte erweitert, wird sie Erfolg haben.

Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen". Er ist stellvertretender Parteivorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD).
Der Autor ist Publizist und lebt in Potsdam. Von 1992 bis 2005 war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen". Er ist stellvertretender Parteivorsitzende der "Alternative für Deutschland" (AfD).
© Thilo Rückeis

Sie wird um den Spagat, den manche für unmöglich halten,  nicht herumkommen: wirtschaftsliberal mit starken sozialen Einschüben und gesellschaftlich populistisch im Lutherschen Sinne: Dem Teil des Volkes aufs Maul schauen, dem die anderen nicht mehr zuhören, weil seine Ansichten angeblich nicht modern und zeitgemäß sind,  wobei nie jemand erklärt, weshalb die falschen Einwanderer, die falsche Währung, eine Schule, die keine Bildung mehr vermittelt, und das Schleifen des Rechtsstaates zeitgemäß sein sollen. Die AfD darf und kann keine FDP 2.0 sein, aber sie muss Liberalen wie Konservativen, enttäuschten Linken wie Protestwählern eine Heimat sein - eben Graswurzelbewegung des Widerstands gegen eine von den Eliten betriebene undemokratische, weil angeblich alternativlose Politik, die für alle Unzufriedenen immer nur die Botschaft des ehemaligen Eurogruppenchefs Jean-Claude Juncker hat: Das versteht ihr nicht.

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