Die internen Probleme der SPD: Das Problem heißt Sigmar Gabriel
Der Wahlkampf der Sozialdemokraten kommt nicht in Schwung, der Kanzlerkandidat Steinbrück beim Wahlvolk nicht an. Jetzt streiten die Genossen auch noch öffentlich. Doch vor allem der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat nicht verstanden, was bis zum 22. September seine Rolle ist.
Es hat jetzt auch öffentlich geknallt in der SPD. Sigmar Gabriel hat sich am Dienstag vergangener Woche in der SPD-Fraktion bei der Diskussion über eine europäische Bankenunion programmatisch von Peer Steinbrück abgesetzt. Der Kanzlerkandidat klagte daraufhin in einem Spiegel-Interview über die mangelnde Loyalität des Parteivorsitzenden. Solche Situationen „dürfen sich nicht wiederholen“, erklärte er dazu, nur die Bündelung aller Kräfte ermögliche es der SPD, die Bundesregierung anzulösen. Das saß.
Es war klar, dass die internen Konflikte in der SPD irgendwann aufbrechen würden. Dass die SPD-Führung, vor allem Gabriel, Steinbrück und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nicht an einem Strang ziehen, war seit Monaten zu spüren. Der Wahlkampf der Sozialdemokraten kommt auch deshalb nicht in Schwung, der Kanzlerkandidat beim Wahlvolk auch darum nicht recht an. Den Sozialdemokraten gelingt es nicht, in der Auseinandersetzung mit der schwarz-gelben Bundesregierung Themen zu setzen. Die Partei ist nervös, die Basis verunsichert. Die Schuldzuweisung an die Medien ist wenig glaubwürdig. Die demonstrative Siegesgewissheit klingt nur noch wie eine Durchhalteparole.
Es liegt nahe, nun davon zu sprechen, dass die sozialdemokratischen Gladiatoren bereits nach einem Schuldigen für die absehbare Wahlniederlage suchen. Es mag sein, dass Peer Steinbrück in den vergangenen Monaten den einen oder anderen überflüssigen Fehler gemacht hat. Aber das größere Problem der SPD heißt derzeit Sigmar Gabriel. Der Parteichef fügt sich nicht in seine Rolle als erster Mann hinter dem Kanzlerkandidaten, Gabriel ist sprunghaft, unberechenbar und unzuverlässig, er ist offensichtlich nicht teamfähig. Darunter leidet der ganze Wahlkampf der SPD.
Seit die SPD Peer Steinbrück im Oktober vergangenen Jahres zum Kanzlerkandidaten gekürt hat, wäre es die vornehmste Aufgabe des Parteivorsitzenden gewesen, dem Kandidaten zu dienen und in der Partei für größtmögliche Geschlossenheit zu sorgen. Man könnte etwas pathetisch auch von seiner parteipolitischen Pflicht sprechen. Seit dem Moment, in dem Gabriel seinem Parteifreund Steinbrück den Weg zur Kanzlerkandidatur geebnet hat, ist dieser im Grunde nicht mehr Parteivorsitzender, sondern für ein paar Monate nur noch der erste Sekretär des Kanzlerkandidaten. Abgerechnet wird am 22. September und das kann man durchaus wörtlich nehmen, wenn der Kandidat am Wahltag nicht liefert.
Wie man eine Partei hinter einem Kandidaten zusammenschweißt, das hat der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine im Jahr 1998 bis zur Selbstverleugnung demonstriert. Er hat hinter einem sperrigen Kandidaten, mit dem damals viele Genossen fremdelten und der auch Fehler gemacht hat, die Solidarität und die Geschlossenheit der Partei organisiert. Mit großem Erfolg. (Dass Lafontaine es später bitter bereut hat, Schröder zum Kanzlerkandidaten gemacht zu haben, ist eine andere Geschichte.)
Anders Gabriel. Schon die Präsentation des Kanzlerkandidaten im Oktober musslang. Statt Peer Steinbrück anschließend gewisse Beinfreiheit zu ermöglichen, schrieb die Partei ihm ein Programm, das nicht zum Kandidaten passt. Immer wieder wagte Gabriel in den letzten Monaten programmatische Vorstöße, die mit dem Kandidaten nicht abgesprochen waren, zur Bekämpfung der Steuerflucht zum Beispiel oder zur Zypernrettung, zuletzt forderte er ein Tempolimit. Steinbrück war entsetzt.
Zu Recht. Die SPD kann nur eine Wahlkampfstrategie haben und die bestimmt der Kandidat. Wenn Steinbrück entscheidet, er unterstütze eine Initiative der Bundesregierung zur Schaffung einer europäischen Bankenunion, dann muss Gabriel das Murren in der Partei eindämmen, statt es zu befeuern. Und wenn der Kanzlerkandidat entscheidet, er fährt angesichts des Hochwassers nicht an den Deich, weil dort Helfer und nicht Politiker gebraucht würden, er beteilige sich also nicht am „Gummistiefel-Wettbewerb“, dann mag dies ungeschickt sein. Aber der Parteivorsitzende muss dies akzeptieren. Statt besuchte Gabriel das Hochwassergebiet in Sachsen-Anhalt und ließ den Kanzlerkandidaten erst recht blöde aussehen.
Der SPD-Vorsitzende irrt, wenn er sich nun mit den Worten verteidigt, gelegentlich gebe es im Wahlkampf schon mal Spannungen. Er irrt, wenn er sagt, der Kanzlerkandidat dürfe den Parteivorsitzenden schon mal „in den Senkel stellen“, zu Deutsch zurechtweisen. Der Parteivorsitzende darf im Gegenteil als erster Sekretär des Kandidaten, dafür keinen Anlass geben. Denn wenn die Parteiführung im Wahlkampf nicht geschlossen an einem Strang zieht, dann verunsichert dies die Basis und irritiert die Wähler.
Die einzige Möglichkeit, die der Parteichef gehabt hätte, wäre gewesen, den Kanzlerkandidaten auszutauschen, wenn er an dem Kanzlerkandidaten zweifelt. Ende vergangenen Jahres gab es dafür ein Zeitfenster, nachdem sich Steinbrück in der Debatte um seine Nebeneinkünfte ziemlich ungeschickt angestellt hatte. Aber dazu ist es nun zu spät.
Stattdessen sind die Konflikte an der SPD-Spitze jetzt öffentlich, es hat – von großen Schlagzeilen begleitet – geknallt. Steinbrück hat unverhohlen zu Protokoll gegeben, dass er sich Querschüsse des Parteivorsitzenden verbitte. Ob es wirklich ein reinigendes Gewitter war, wie nun in der SPD die Sprachregelung lautet, ein „Weckruf“, das muss sich erst erweisen. Zweifel sind angebracht. Sigmar Gabriel macht nicht den Eindruck, als habe er verstanden.