Landtagswahl in Bayern: Das Problem der Kanzlerin
Seehofer, Grundtypus "Merkel, männlich". Was den alten und neuen Ministerpräsidenten von der Kanzlerin unterscheidet. Und warum das Regieren für sie schwieriger werden könnte.
Für und gegen Atomkraft, für und gegen Windkraft, für und gegen Studiengebühren, für Betreuungsgeld, für eine Maut – wer ist das? Angela Merkel? Ja, auch, aber vor allem und vor allen anderen: Horst Seehofer. Der Chef der Christsozialen, die in Bayern regieren und im Bund mitregieren. Der Regierungschef, der dem Volk aufs Maul schaut und dann darauf, was es nutzt: ihm, der CSU, dem Land, manchmal in umgekehrter Reihenfolge. So wird man populär – indem man auch an der Grenze zum Populismus handelt. Und so wird man dann wiedergewählt.
Horst Seehofer hat mit Beliebigkeit und Pragmatismus gepunktet
Und wie! Absolut gut, könnte Seehofer sagen, und wen er damit meinte, in welcher Reihenfolge, ist auch gleich. Er hat sich jetzt, im reiferen Mannesalter, mit 64, bewiesen – und gezeigt, wie die Politik der Zukunft vermutlich sein wird, um Mehrheiten zu erreichen: flexibel bis zur Beliebigkeit, überall pragmatisch, mit ein paar Ankern, um die eigene, tradierte Klientel zu halten. Das Betreuungsgeld, das ist so ein Fall; da war Seehofer auch ganz vorn, weil er merkte, dass das ein Identifikationsthema für Konservative sein dürfte.
Merkel kam, wie in manchen dieser Fälle, hinterdrein. Aber mag ihr seine Art nicht immer liegen, sein Machtbewusstsein, sein Sensorium für Stimmungen, das macht sie sich zunutze. Dieses Schauen, woher der Wind weht, was der Kollege Partei- und Regierungschef im Süden macht, und sich das dann einpassen, den eigenen Kurs entsprechend justieren – bei der Maut tut Merkel es schon wieder. Denn mit diesem Thema kann man im Bund gegen die Grünen punkten.
Für Angela Merkel wird es nach dem Wahlsieg der CSU in Bayern nicht einfacher
Seehofer als Grundtypus "Merkel, männlich": Ihn unterscheidet von ihr, dass er schneller in der Bereitschaft ist, das einmal als richtig Erkannte anzupacken und umzusetzen, und das mit einer Portion auch persönlicher Härte, die kein Kohl, kein Strauß so je hatte. Wie er seine Minister schurigelt, auf Abstand hält, in seiner Gunst steigen und fallen lässt, und das alles öffentlich – das hat es noch nicht gegeben. Das kann Merkel so nicht, das würde sie auch nicht machen, abgesehen davon, dass Bayern auch nicht der Bund ist; dass sie nur Koalitionspartner hat, sondern auch noch schwierigste, Seehofer eben. Sollte sie nach dem 22. September weiterregieren, wird es nach diesem Sonntag bestimmt nicht einfacher werden. Allein schon im eigenen Lager nicht, dem Unionslager aus CDU und CSU.
Nach dem 22. September: Darauf einen Blick jetzt von Bayern aus zu werfen, ist deshalb verlockend, weil witzigerweise im Norden das zweite politische Muster für die – fernere – Zukunft zu sehen ist. Hier Seehofer, da Olaf Scholz. Auch er, der Sozialdemokrat, ist eine Art Superpragmatiker, der sich nach den Wünschen der Menschen, der Wähler richtet, dem links und rechts gleich egal sind, der staatlicherseits eine dümpelnde Werft übernimmt und trotzdem bei Wirtschaftseliten in hohem Ansehen steht – weil es in anderen Fällen ja auch anders sein kann. Alles, was dem Land nutzt, das nutzt auch ihm. Nur redet Scholz nicht so viel wie Seehofer, macht nicht so viel Wind, kappt die Taue auch, wenn es keiner sofort sieht. Die Konkurrenten merken es dann schon.
Dieses, nennen wir es: merkeln, hat also den politischen Stil mehr als jeder vorher geprägt. Die Wahl Seehofers hat aber auch deutlich gemacht, dass dieser Stil extrem unterschiedlich daherkommen kann. Eine These zum Schluss: Ein Zurück wird es angesichts der sich rasant wandelnden Zeiten nicht geben. Dazu sind die Erfolge dann doch zu groß.
Stephan-Andreas Casdorff