Schwarz-Grün in Hessen: Das letzte Projekt
In Hessen gehen CDU und Grüne aufeinander zu. Das könnte das Land verändern - und den Rest der Republik gleich mit.
Ausgerechnet Hessen. Ausgerechnet das Land, wo einst Ministerpräsident Holger Börner mit der Dachlatte den Grünen Prügel androhte, als die gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens protestierten. Das war ein Kulturbruch, als Joschka Fischer und die aufmüpfigen Grünen dann doch 1985 in eine gemeinsame Regierung mit dem Sozialdemokraten Börner eintraten: die erste grüne Beteiligung in einem Bundesland.
Nun steht erneut ein Kulturbruch bevor. Und wieder wird es von den Ausbauplänen für den Frankfurter Airport abhängen, ob Bündnis 90/Die Grünen zusammenfindet zu einer Koalition – diesmal mit der CDU. Vorausgesetzt, die Partner ergreift nicht noch das Erschrecken vor der eigenen Courage. Denn Neuland, ja, ein Kulturbruch, ist das schon in vielfacher Hinsicht.
Es ist nicht das erste schwarz-grüne Bündnis in einem Bundesland. Aber weder die ebenso kurzlebige wie abenteuerliche Jamaika-Koalition im Saarland noch der desaströs gescheiterte Bund mit der CDU in Hamburg haben vergleichbares Gewicht. Dafür sind die Saarländer als Flächenland zu unwichtig, dafür waren die Hamburger Verhältnisse mit einem liberalen Bürgermeister Ole von Beust zu speziell.
Hessen ist einmal mehr das Polit-Labor
Ein Regierungsbündnis in Hessen, einem bevölkerungsstarken Flächenland, einem föderalen und wirtschaftlichen Schwergewicht, ist von anderer Qualität. Polit-Labor Hessen, wieder einmal. Das sprengt nicht nur die eingefahrene Parteienarithmetik, das könnte Deutschland auf einen neuen Kurs bringen.
Schwarz-Grün ist das letzte wirkliche „Projekt“ der deutschen Parteienlandschaft; nicht das schon mehrfach erprobte Rot-Rot. Die grün-schwarzen Gespräche auf Bundesebene waren das Präludium für Hessen. Auf Bundesebene mussten sie scheitern, weil dafür weder die Christdemokraten bereit waren noch die Grünen, die nach ihrem Debakel bei der Bundestagswahl zu schwach und zu zerrissen sind, um eine solche Herausforderung auf Augenhöhe und ohne nachhaltige Blessuren zu meistern. Gelingen aber kann es in Hessen gerade deshalb, weil niemand von einem Projekt sprechen mag, sondern ein Zusammengehen krampfhaft als Normalisierung ausgegeben wird, damit es keinen der beiden Partner zerreißt.
Es mag eine besondere Dialektik sein, dass hier sich zwei Partner finden, gerade weil sie so weit voneinander entfernt scheinen, dass beide unverdächtig sind, den Ausverkauf der eigenen Interessen zu betreiben. Hier Volker Bouffier, auch wenn der nicht mit Dachlatten drohte, aber die Frontfigur einer traditionell knochentrocken-konservativen CDU ist, die immer noch vom Vermächtnis von Alfred Dregger, Roland Koch und Walter Wallmann befangen ist. Dort Tarek Al-Wazir, der sich als persönliches Opfer der hetzerischen Wahlkampagne von Roland Koch gegen Ausländer empfunden hat. Aber Bouffier ist auch der Mann, der spürt, dass sich die Union verändern muss, um unter dem Modernisierungsdruck bestehen zu können; und der dafür den Segen der Bundeskanzlerin hat: die Grünen als Übungsleiter für christdemokratische Lockerungen.
Schwarz-Grün in Hessen als Testballon
Eine Koalition in Hessen wäre nicht nur ein Testlauf für eine schwarz-grüne Regierung auf Bundesebene. Es würde auch die stille Eroberung der Republik durch die Grünen fortsetzen. Hessen wäre das siebte Bundesland, in dem die Grünen mit am Kabinettstisch sitzen. Gemeinsame Erfahrungen gibt es; in Frankfurt/Main arbeitet schon seit 2006 eine schwarz-grüne Koalition im Römer zusammen. Genau dort, in den Großstädten, haben die Grünen sich als sachkompetente Partner mit unideologischem Augenmaß bewährt. Ein Tabubruch, das zeigt sich, kann erst dann erfolgreich sein, wenn er keiner mehr ist, wenn ein solches Bündnis nicht als umstürzlerisch empfunden wird, sondern als politischer Alltag.
Der Fukushima- Schock brachte die Grünen erstmals an die Spitze einer Landesregierung. Nach Baden-Württemberg ist Schwarz-Grün in Hessen die nächste Ebene. Nach den unausgegorenen Steuerplänen, nach Veggie-Day und der Flucht aus der Verantwortung für die Pädophilen-Umtriebe zu grünen Gründungszeiten ist Hessen ein Chance für eine inhaltlichen Neubestimmung: weg von der Partei der Gängelung, der Vorschreiberitis und der Pädagogisierung der Menschen. Heraus aus der linken Selbstgefälligkeit und eitlen Erklärungsgewissheit, mit der der gescheiterte Spitzenkandidat Jürgen Trittin die Partei in die Niederlage bei der Bundestagswahl geführt hatte.
Das Erstarken der Grünen in den Städten gründet sich auf jene Wähler, die neue bürgerliche Werte verkörpern – offene Familienentwürfe, ökologische Nachhaltigkeit, liberale Freizügigkeit und wirtschaftliche Solidität. Das sind die Andockstationen mit modernen christdemokratischen Überzeugungen. Torsten Schäfer-Gümbel, der neue Star im SPD-Vorstand, sieht nicht nur wegen der gescheiterten Gespräche mit der hessischen CDU ziemlich alt aus. Er könnte erleben, dass ausgerechnet in Hessen die angeblich zwangsläufige rot-grüne Partnerschaft auf dem Schrottplatz der Geschichte landet.
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