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Papst Franziskus bei einem Gespräch mit Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa im Mittelmeer
© Reuters

Franziskus und die Flüchtlinge von Lampedusa: Das flüchtige Wunder des Papstes

Der Papstbesuch auf der italienischen Insel Lampedusa zeigt, dass Menschen in Not geholfen werden muss. Denn auch bei den vielzitierten Durchschnittseuropäern ist längst angekommen, dass Flüchtlinge eine Perspektive brauchen.

Ein Wunder!“, spottete am Montagmorgen der prominente italienische Fernsehjournalist Gad Lerner über die Übertragungen vom Besuch des Papstes auf der sizilianischen Insel Lampedusa. „Radio und Fernsehen sprechen jetzt von Migranten statt von Illegalen. Hat’s einen Papst gebraucht, um sie daran zu erinnern, dass das Menschen sind?“

Lerner hat den Punkt getroffen. Franziskus’ demonstrative erste Reise auf die Insel, die zum Inbegriff des Flüchtlingssterbens im Mittelmeer geworden ist, verschiebt erstmals den Fokus vom „Asylnotstand“, also der Perspektive der EU-Politik, hin zu denen, die der Versuch, ein wenig weniger elend zu leben oder auch überhaupt leben zu können, oft genug eben dieses Leben kostet. Nicht dass es den Papst gebraucht hätte, um zu erfahren, dass auf der Überfahrt seit vielen Jahren Zigtausende ertrinken, verdursten, verhungern, dass sie, wenn sie in Nordafrika stranden, mit Folter und Ausbeutung zu rechnen haben. Und sich doch immer wieder auf den lebensgefährlichen Weg machen. Machen müssen. Darüber gibt es Reportagen und Statistiken, einige wenige Flüchtlinge konnten sich auch schon spektakulär vor europäischen Gerichten wehren und manche Odyssee wurde sogar von offizieller Seite in allen erschütternden Details dokumentiert – Militär- und Handelsschiffe eingeschlossen, deren Besatzungen die Schiffbrüchigen vor ihren Augen sterben lassen.

Aber Papst Franziskus hat dieses Wissen jetzt zum ersten Mal in eine Geste umgesetzt, die mehr Aufmerksamkeit bekommt als alle notwendigen Proteste seiner Caritas oder von Nichtregierungsorganisationen. Er hat starke Worte benutzt gegen die „Gleichgültigkeit“ des Nordens und dafür um Verzeihung gebeten. Und starke Bilder gefunden. Gegen die Das-Boot-istvoll“-Rhetorik las der Papst auf Lampedusa die Messe nahe jenem Schiffsfriedhof, auf dem die havarierten Flüchtlingskähne aufbewahrt werden.

Franziskus müsste freilich ein zweites Wunder bewirken, damit die Perspektive der Untergegangenen und knapp Davongekommenen auch irgendwann in die europäischen Hauptstädte dringt. Dort werden noch immer Phantomängste vor den eigenen Bürgern kultiviert, deren Integrationsbereitschaft angeblich Grenzen habe und denen man nicht das Elend der ganzen Welt zumuten könne. In dieser Woche steht das Thema auch hierzulande wieder auf der Tagesordnung der Unions-Innenminister. Dabei ist beim vielzitierten Durchschnittsbürger längst angekommen – Umfragen beweisen das – dass Menschen in Not geholfen werden muss. Auch und gerade dann, wenn sie zu uns fliehen.

Was das Elend der Welt betrifft, so ist das ohnehin eine Lüge und keinesfalls eine fromme. Fast alle Kriegs- und Folteropfer, Bitterarmen, Vertriebenen dieser Welt bleiben, müssen bleiben, wo sie sind. Oder in kaum bessergestellte Nachbarländer gehen. Nach draußen schaffen es nur die Jungen, Gesunden, Entschlossensten, oft die Gebildeteren. Und nur ganz, ganz wenige von ihnen. Mehr Realismus in der Einwanderungspolitik hieße, auch da genauer hinzusehen.

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