Gastkommentar: Christian Ude - Ein Putsch und zwei Revolutionen
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude will 2013 für die SPD bayerischer Ministerpräsident werden. Erst hat er die SPD vor vollendete Tatsachen gestellt, nun fordert er Horst Seehofer heraus. Das CSU-Machtsystem wankt.
Angesichts abstürzender Aktienkurse, der Sorge um den Euro und randalierender britischer Jugendlicher ist eine Meldung, die die deutsche Politik nachhaltig verändern könnte, in der vergangenen Woche beinahe untergegangen. In Bayern kündigt sich gleich eine doppelte Revolution an. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude will bei der Landtagswahl 2013 als Spitzenkandidat der SPD antreten und den Ministerpräsidenten Horst Seehofer herausfordern. Wird Ude von der SPD tatsächlich nominiert, dann würde die CSU nach 54 Jahren an der Macht erstmals wieder von einem Politiker herausgefordert, der bei der Landtagswahl nicht chancenlos wäre. Die einmalige politische Vormachtstellung der CSU in Bayern und ihre Sonderrolle im bundesdeutschen Parteiensystem könnten ins Wanken geraten.
Doch bevor die CSU tatsächlich in Gefahr gerät und Horst Seehofer abgewählt wird, muss sich in Bayern erst noch eine andere Revolution ereignen, eine sozialdemokratische. Zweifelsohne gehört Christian Ude zu den beliebtesten bayerischen Politikern, in München ist er eine Institution. Seit 18 Jahren ist er Bürgermeister der Landeshauptstadt, zuletzt haben die Wähler ihn im Jahr 2008 mit 66,8 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. All die Jahre stützte er sich im Rathaus auf eine stabile rot-grünen Mehrheit. Doch mit der bayerischen SPD verband Ude über all die Jahre eine Hassliebe.
Bayerns Sozialdemokraten sind seit vielen Jahrzehnten ein Fall für sich. Sie haben sich bequem in der Opposition eingerichtet. Und weil sie fünf Jahrzehnte lang nicht einmal an der Macht schnuppern konnten, haben sie sich vor allem mit sich selber beschäftigt und noch jeden profilierten SPD-Landespolitiker mit großer Lust demontiert. Als Gralshüter der reinen sozialdemokratischen Lehre opponieren sie schon aus Prinzip gegen jede Reformidee der Bundespartei. Wann immer in der SPD gestritten wurde, schlugen die Wellen im bayrischen Landesverband besonders hoch. Das war schon in den siebziger Jahren so, als die Jungsozialisten den Staatsmonopolsozialismus preisten und setzte sich fort über die innerparteiliche Auseinandersetzung zum Beispiel über die Nato-Nachrüstung oder Schröders Hartz-Reformen. Die Wähler wandten sich mit Grausen ab. Bei der bayerischen Landtagswahl 2008 erzielte die Partei nur noch 18,6 Prozent.
Christian Ude hingegen ist alles das, was die bayerische SPD nicht ist: pragmatisch und unideologisch, populär und erfolgreich. Eitel und machtbewusst ist er natürlich auch. Kein Wunder, dass er sich in den letzten zwei Jahrzehnten vom Landesverband fern gehalten hat, um nicht mit deren Sektierer-Virus infiziert zu werden. In Landtagswahlkämpfen sah man ihn selten. Besser für seine Ambitionen in München war es, wenn die Wähler gar nicht merkten, dass er Sozialdemokrat ist.
Kein Wunder war deshalb auch, dass Ude niemand in der bayrischen SPD in seine neuen Karriere-Pläne einweihte. Stattdessen kürte er sich in Gesprächen mit Journalisten sowie mit ein paar allgemeinen Worten und Andeutungen quasi im Alleingang zum sozialdemokratischen Hoffnungsträger für Bayern. Kühl kalkulierend führte er seine Genossen vor und um die Demütigung perfekt zu machen, wartete er damit, bis sich der Landesvorsitzende in den Sommerurlaub verabschiedet hatte.
Niemand in der bayrischen SPD wird sich Christian Ude offen in den Weg stellen. Dies käme angesichts der drängenden Grünen einem politischen Selbstmord gleich. Ude weiß dies, und so glich sein Griff nach der Spitzenkandidatur einem innerparteilichen Putsch. Doch weil sich für die SPD in Bayern plötzlich völlig ungewohnte Perspektiven aufzeigen, machen alle bayerischen Genossen derzeit gute Mine zu den machtpolitischen Spielchen des Münchener Oberbürgermeisters. Sie stehen Spalier, ballen die Faust allenfalls in der Tasche und wundern sich etwas über den Zeitpunkt der unerwarteten Offensive aus dem Münchener Rathaus. Denn eigentlich wollte die Partei ihren Spitzenkandidaten erst in zwölf Monaten küren.
Nun hat Ude seiner Partei einen anderen Zeitplan diktiert. Er musste jetzt handeln. Der 63-jährige darf aus Altersgründen im kommenden Jahr nicht noch einmal für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren. Zu sehr nagte deshalb bereits jetzt der Ruf an einer Lame Duck an ihm. Bis er Politrentner ist, wollte er deshalb nicht warten. Im kommenden Jahr hätten sich zudem bereits andere mögliche Spitzenkandidaten in Stellung gebracht. Da wäre der Durchmarsch nicht mehr so leicht gefallen.
Hat Christian Ude eine Chance auf das Ministerpräsidentenamt? Erfahren Sie mehr auf der nächsten Seite.
Ob es Christian Ude allerdings tatsächlich gelingen wird, die bayerischen Sozialdemokraten auf seinen realpolitischen Kurs und seinen pragmatischen Politikstil einzuschwören, ist völlig offen. Für eine Intrige oder einen programmatischen Hinterhalt sind Bayerns Sozialdemokraten immer gut. Ob Ude mit den Grünen und den Freien Wählern tatsächlich ein für den Wähler attraktives Oppositionsbündnis schmieden kann, auch dass muss sich erst noch erweisen.
Trotzdem: Erstmals seit 55 Jahren rückt die Abwahl der CSU-Regierung und damit eine bayrische Revolution zumindest in den Bereich des Möglichen. Mit Christian Ude könnte die Opposition erstmals seit Jahrzehnten einen Herausforderer präsentieren, der dem Amtsinhaber Seehofer auf Augenhöhe begegnet. Niemand wird dem erfahrenen Kommunalpolitiker und langjährigem Präsidenten des Deutschen Städtetages ernsthaft die Eignung für das Amt des Ministerpräsidenten absprechen können. Das Duell Christian Ude gegen Horst Seehofer hat seinen Reiz. Zumal der Münchner Oberbürgermeister dem christsozialen Ministerpräsidenten auch in Sachen bayerischer Lebensart und populistischer Bierzelttauglichkeit in nichts nachsteht.
Zwangsläufig fühlt man sich an das Jahr 1954 erinnert, als es der Opposition in einer Vier-Parteienkoalition unter Führung des Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner zum ersten und einzigen Mal in der bayerischen Nachkriegsgeschichte gelang, die CSU auf die Oppositionsbänke zu verbannen.
Es könnte für die CSU also in zwei Jahren ernst werden. Ihr Niedergang könnte sich fortsetzen. Schon bei der Landtagswahl vor drei Jahren kam sie nur noch auf 43,4 Prozent, sie büßte die absolute Mehrheit an und regiert nun in einer Koalition mit der FDP. Von diesem Schock hat sich die Partei nicht wieder erholt. Ministerpräsident Seehofer regiert launisch und wankelmütig. Mit seiner Wende in der Atompolitik hat er einen Teil seiner Anhänger tief verunsichert.
Noch ist völlig offen, was in den kommenden zwei Jahren in Bayern passiert, aber mit der Kandidatur Udes würde die politische Sensation plötzlich möglich. Eine Niederlage der CSU würde jedoch nicht ohne Auswirkungen auf die gesamte Union bleiben. Denn die hohen Wahlergebnisse der CSU in Bayern waren in den letzten Jahrzehnten auch ein Garant für hohe Wahlergebnisse der Union im Bund. Christian Ude ist also nicht nur ein Problem für den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, sondern auch für die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Christoph Seils ist Ressortleiter von Cicero-Online und Autor des Buchs "Parteiendämmerung. Oder was kommt nach den Volksparteien?".