Kirchenasyl und Christenverfolgung: Christen in Not - aus Nähe muss Hilfe werden
Am vergangenen Sonntag sind erneut Christen ermordet worden. Ganz gezielt, diesmal in der pakistanischen Stadt Lahore. Derweil streitet man in Deutschland ums Kirchenasyl. Aber wenn schon Kirchenasyl, warum dann nicht mehr Christen aufnehmen? Ein Kommentar.
Einer von uns – wer ist das? Wenn einer im Urlaub zufällig einen Menschen trifft, der aus derselben Stadt stammt, denkt er: Einer wie ich. Wenn in den Abendnachrichten über das Schicksal einer deutschen Familie berichtet wird, die im Ausland bei einem Lawinenunglück verschüttet wurde, empfinden viele Zuschauer: Das sind Deutsche wie wir. Wenn eine Frau davon erzählt, wie sie von einem älteren Mann sexuell belästigt wurde, schließen sich andere Frauen aus Solidarität im Twitter-Hashtag #Aufschrei zusammen.
Einer von uns – dieses Gefühl resultiert aus Identitätserfahrung. Diese wiederum speist sich aus vielen Quellen, der Herkunft, dem Geschlecht, dem sozialen Status, dem Alter (von der Jugendorganisation bis zu den Seniorenverbänden), der Vorliebe für einen bestimmten Sportverein, der Partei- oder Gewerkschaftszugehörigkeit. Hundebesitzer, Jogger, werdende Mütter können sich ebenfalls stark der sie definierenden Gruppe zugehörig fühlen. Einer von uns – das bedeutet emotionale Nähe, die oft konkrete Unterstützung und Hilfe nach sich zieht.
Am vergangenen Sonntag sind erneut Christen ermordet worden. Ganz gezielt. In der pakistanischen Stadt Lahore zündeten Selbstmordattentäter ihre Bomben in einer katholischen und einer protestantischen Kirche. Eine Splittergruppe der radikalislamischen Taliban übernahm die Verantwortung für das Blutbad. So jedenfalls hieß es später im knappen Nachrichtendeutsch. Hat da wirklich jemand „Verantwortung übernommen“ oder sich nicht eher damit gebrüstet, eine besonders bestialische Tat begangen zu haben?
Etwa 80 Prozent der Menschen, die weltweit wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. Das Christentum ist die am heftigsten bekämpfte Religion. Nun ist nicht jeder Christ, der ermordet wird, ein Opfer religiöser Gewalt. Viele gewaltsam ausgetragene Konflikte haben auch ethnische oder soziale Ursachen. Außerdem lässt sich lange darüber streiten, wie systematisch Christen, etwa in der islamischen Welt, verfolgt, gefoltert und vertrieben werden. Keinen Streit aber kann es darüber geben, dass die Christenverfolgung sehr real ist. Ob in Syrien, Irak oder dem Iran, ob in Nordkorea, Nigeria oder dem Sudan, ob in Afghanistan, Pakistan oder dem Jemen: Die öffentliche Religionsausübung ist wenn, dann nur stark eingeschränkt möglich. Mission und Übertritte sind zumeist verboten. Millionen Christen aus Syrien und dem Irak sind akut auf der Flucht.
Es hat lange gedauert, bis das Elend von offizieller Kirchenseite angeprangert wurde
Papst Franziskus hat die Anschläge von Lahore noch am selben Tag verurteilt. „Unsere Schwestern und Brüder haben ihr Blut vergossen, nur weil sie Christen sind“, sagte er und sprach von einer „Christenverfolgung, welche die Welt zu verbergen sucht“. Die Evangelische Kirche wiederum erinnert seit 2010 an jedem zweiten Sonntag der Passionszeit (Reminiszere) an das Schicksal der verfolgten Christen. Doch es hat lange gedauert, bis dieses Elend von offizieller Kirchenseite angeprangert wurde. Und bis heute wird über die praktischen Konsequenzen daraus kaum öffentlich debattiert.
„Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“: Das schreibt der Apostel Paulus im Galaterbrief. Gutes tun an jedermann – so lehrt es das Gleichnis des barmherzigen Samariters. Allermeist aber an des Glaubens Genossen – das wiederum bürdet Christen eine besondere Verantwortung für in Not befindliche Mitchristen auf. Sie fängt in der Gemeinde an und hört in Lahore nicht auf. Überdies sprengt das christliche Gemeinschaftsgefühl konfessionelle Grenzen. Die Verfolger unterscheiden nicht zwischen Protestanten, Katholiken und Orthodoxen. Eine traurige Lehre aus vielfältiger Diskriminierungsgeschichte ist, dass sich jemand nur als derjenige verteidigen kann, als der er angegriffen wird. Insofern demonstriert auch die Christenverfolgung, wie dringlich Ökumene ist – und wie unwichtig im globalen Maßstab das Trennende zwischen den christlichen Gemeinschaften.
Das Kirchenasyl ist umstritten. Aufenthaltsrecht sei allein Sache des Staates, meinen die einen, dieser habe das Gewaltmonopol. Es schütze Flüchtlinge, meinen die anderen, das schwäche den Rechtsstaat nicht, sondern stärke ihn. Eine Frage aber müssen alle Gemeinden beantworten, die von Abschiebung bedrohte Menschen bei sich aufnehmen wollen: Wie lässt sich in der Kirchenasylspraxis das paulinische Gebot „allermeist aber an des Glaubens Genossen“ umsetzen? Als Christ sich streng neutral zu verhalten, kann identitätsverleugnend wirken. Einer von uns – wer ist das?
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