Hygiene auf Schultoiletten in Berlin: Bürger, an die Latrinen!
Um die Berliner Schultoiletten steht es schlecht: Jüngst hatte eine Umfrage der "German Toilet Organisation" ergeben, dass die meisten Schüler das Klo nur im Notfall benutzen. Eltern sollen nun an einer Berliner Grundschule selbst zum Scheuerlappen greifen.
An der Grundschule unserer Tochter gibt es demnächst einen Projekttag zum Thema Hygiene. Lehrer und Erzieher hatten sich zu diesem Anlass überlegt, die Kinder der ersten Klassen die Toiletten putzen zu lassen. Die Eltern waren davon nicht so begeistert. Viele Kinder meiden die Schultoiletten. Das hat die „German Toilet Organisation“ bei einer Umfrage unter 290 Berliner Schülern ermittelt. Elf Prozent gehen demnach in der Schule nie auf die Toilette, 64 Prozent nur im „Notfall“. Dreiviertel der Befragten finden Schul-WCs zu schmutzig. Die maroden Zustände förderten den Vandalismus, der alles noch schlimmer mache, erklärt die „German Toilet Organisation“, eine Berliner Hilfsorganisation, die mit Spendengeld die sanitäre Lage in der Dritten Welt verbessert: in Indien, Sri Lanka oder Sambia. Auch Berlin hätte die Hilfe bitter nötig. Auf mehrere hundert Millionen Euro schätzen Experten den Sanierungsbedarf an den Schulen, 64 Millionen stehen dafür in diesem Jahr zur Verfügung. Das reicht nicht einmal für die notdürftigsten Arbeiten.
Wer etwas über den Bildungsstandort Berlin lernen will, sollte sich in den Schulklos umsehen. Natürlich werden die Schultoiletten regelmäßig von Reinigungspersonal gepflegt. Aber das darf möglichst wenig kosten, daher wird vielerorts nicht häufig genug sauber gemacht. Wenn sich Kinder deshalb weigern die Toiletten zu benutzen, werden Eltern ihnen wohl kaum zumuten wollen, die Klos sauber machen zu müssen.
Die Schulleitung unserer Grundschule – sie liegt in Tempelhof- Schöneberg – hält das Toilettenproblem für unlösbar: Für zusätzliche Reinigungseinsätze fehle das Geld. Die Elternvertretung ist darum auf die Idee gekommen, zum Hygiene- Tag Väter und Mütter zu einer Putz- und Renovierungsaktion einzuladen. Eine zusätzliche Reinigung im Jahr ist schließlich besser als keine.
Die Bildungspolitik dieser Stadt macht immer klüger. Man hat den Eindruck: Gerade weil das Geld fehlt, blüht die Kreativität. Davon könnte die Stadt auch andernorts profitieren. Warum werden Antragsteller in Behörden nicht dazu angehalten, während der Wartezeit die Toiletten zu reinigen? Dafür sollte man Anreize schaffen: Wer putzt, kommt früher ran. Und was ist mit den städtischen Kliniken? Statt über multiresistente Keime und Staubmäuse unter den Betten zu meckern, könnten Angehörige von Patienten doch die Latexhandschuhe überstreifen und sich mit dem Wischmopp nützlich machen. Merkwürdig, dass solche Ehrendienste bisher nur Schülern und ihren Eltern angetragen werden.
Im gemeinsamen Leitbild für die Hauptstadtregion von Berlins Regierendem Bürgermeister und Brandenburgs Ministerpräsidenten heißt es: „Wir wollen, dass die Hauptstadtregion eine Vorbildfunktion bei der Modernisierung der Gesellschaft übernimmt. Ziel ist der aktivierende Staat, der die Menschen in ihrer Eigeninitiative unterstützt.“ In diesem Sinne zeigt Berlin, die Zukunftswerkstatt der Republik, wie die Zivilgesellschaft von morgen aussieht. Der Staat der Schuldenbremse lehrt Freiwilligeneifer und Demut – und drückt Steuerzahlern den Scheuerlappen in die Hand. Bürger, an die Latrinen!
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat übrigens die Aufträge für die Reinigung der Schulen neu ausgeschrieben. Die Zuschlagskriterien für „das wirtschaftlich günstigste Angebot“: niedrigster Preis (Gewichtung zwei Drittel), höchste Reinigungszeit (Gewichtung ein Drittel). Die Firma, die den Zuschlag erhielt, will dem Putzpersonal des Subunternehmens, das die Schulen bereits zuvor gereinigt hat, künftig deutlich weniger Arbeitsstunden vergüten. An Berliner Schulen wird sich die sanitäre Lage wohl weiter an die in Entwicklungsländern angleichen.
Stephan Wiehler