Kriminalität in der Hauptstadt: Berlin muss mit Sicherheit attraktiv werden
Wenn es in Berlin um Sicherheit geht, dann steht nicht mehr der 1. Mai im Mittelpunkt. Stattdessen sollte die steigende Zahl der Wohnungseinbrüche Polizei und Politik zum Handeln bringen. Wir sehen euch, wir kriegen euch - dieses Signal ist notwendig.
Es wird eine Bewährungsprobe werden für die Berliner Polizei, wie an jedem 1. Mai. Und eine besondere Herausforderung für den neuen Polizeipräsidenten Klaus Kandt. Er hat zum ersten Mal zu verantworten, dass es friedlich bleibt in Kreuzberg oder Friedrichshain, in der Walpurgisnacht und auf dem Kreuzberger Myfest. Doch der 1. Mai hat seinen Schrecken verloren; die autonome Szene ist trotz der aggressiven Rhetorik des „revolutionären 1. Mai-Bündnisses“ geschwächt. Die Polizei hat dagegen in den vergangenen Jahren bewiesen, dass ihr Konzept der ausgestreckten Hand für friedliche Demonstranten und der Härte gegen Gewalttäter funktioniert.
Die wahre Herausforderung für die Polizei ist deswegen eine andere. Berlins Bürger bewegt nicht die Randale von gestern, ein schwindendes Sicherheitsgefühl macht ihnen Sorgen. Jede Stunde wird in Berlin eine Wohnung geknackt – bei einer Aufklärungsrate von acht Prozent. Über ein Drittel mehr Einbrüche seit 2011 verzeichnet die Statistik, bei Einfamilienhäusern gab es im ersten Halbjahr 2012 sogar eine Steigerung um 47 Prozent. Und das, obwohl in Berlin insgesamt die Zahl der Straftaten gesunken ist. Dabei ist der Einbruch in die Intimsphäre, der Verlust eines elementaren Sicherheitsgefühls, für viele Menschen traumatischer als der erlittene materielle Schaden.
Innensenator Frank Henkel (CDU) hat vor einem Jahr verstärkte Anstrengungen versprochen. Das Versprechen ist uneingelöst. Die Welle der Einbrüche geht weiter, auch wenn einiges getan wurde: Die Präventionsberatung ist jetzt kostenlos, Beamte machen Hausbesuche, um Mietern bei der Sicherung ihrer Wohnungen zu helfen und die Einsätze gegen die oft aus Südosteuropa stammenden, hochprofessionellen Banden werden besser koordiniert. Die Polizei hat 2011, als die Zahl der Einbrüche besonders stark zunahm, darauf verwiesen, dass Kräfte wegen der vielen Autozündler gebunden seien. Heute brennen kaum noch Autos – aber Personal wird nicht im gleichen Maße für eine Offensive gegen Einbrecherbanden eingesetzt. Auch die 250 zusätzlichen Polizisten, welche die CDU 2011 in der Koalition mit der SPD durchsetzte, sind nicht im Einsatz, sondern in der Ausbildung. Polizeipräsident Kandt, so hat er gesagt, will das Image seiner Behörde bei den Bürgern verbessern. Unter anderem sollen Straftaten durch eine 24-Stunden-Bereitschaft schneller bearbeitet werden. Hinterher, wenn die Diebe weg sind, wenn es zu spät ist.
Es geht anders. Der erfreuliche Rückgang von Gewalttaten im öffentlichen Nahverkehr zeigt, was ein zusätzlicher Aufwand bringen kann. Seit alle U-Bahnhöfe mit Kameras ausgestattet wurden, Sonderstreifen der Polizei im Einsatz sind und die Videobilder länger gespeichert werden, ist innerhalb eines Jahres die Zahl der Gewalttaten um fast 20 Prozent gesunken. Wir sehen euch, wir kriegen euch – dieses Signal ist bei Gewalttätern offensichtlich angekommen.
Innensenator Henkel und der Polizeipräsident sind im Wort, damit sich die Berliner auch in ihren eigenen vier Wänden sicher fühlen können. Geht dieses Gefühl verloren, schwindet auch das Vertrauen in eine Zivilgesellschaft. Kandts wahre Reifeprüfung ist deswegen nicht ein erfolgreicher Einsatz am 1. Mai, sondern die Frage, wie Deutschlands größte Polizeibehörde mit 22 000 Mitarbeitern Alltagskriminalität effektiver bekämpfen kann. Sonst besteht die Gefahr, dass in der Hauptstadt, die immer mehr Menschen anzieht, die dunkle Seite einer Metropole immer bedrohlicher wird.
Gerd Nowakowski