Kommentar: Auslaufmodell Ehefrau
Statt Ehe und Familie sollte der Staat lieber die Kinder fördern. Der Mangel an Geld ist nicht das Problem. Vielen Eltern fehlt die Zeit und die passende Infrastruktur für ein Leben mit Kindern.
Die Deutschen bekommen wieder mehr Kinder. Die Geburtenrate ist auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Ursache für den neuen deutschen Kinderoptimismus ist auch eine veränderte Familienpolitik. Ministerin Ursula von der Leyen hat gestern den Zwischenbericht des „Kompetenzzentrums Familienleistungen“ vorgestellt. Das Zentrum, bestehend aus sechs Wissenschaftlern, hat erstmals sämtliche familienbezogene Leistungen aufgelistet. Die insgesamt 159 Leistungen haben einen Umfang von knapp 190 Milliarden Euro im Jahr. Viel Geld für wenig Kinder.
Der Mangel an Geld ist nicht das Problem. Vielen Eltern fehlt die Zeit und die passende Infrastruktur für ein Leben mit Kindern. Das neue „Elterngeld“ sieht erstmals auch die Möglichkeit für Väter vor, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Unerwartet viele haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Trendsetter der neuen Männer ist Bayern. Dabei hat die CSU die „Vätermonate“ noch vor der Einführung als „Wickelvolontariat“ bekämpft. Wenige Monate vor der Landtagswahl stellt sich die Partei an die Spitze der neuen Bewegung und unterstützt die Forderung der Familienministerin nach einer Verlängerung der Monate.
Die zweite Ursache für den nicht erfüllten Kinderwunsch liegt in der unzureichenden Förderung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die deutsche Familienpolitik ist zu transferorientiert. Die Familien bekommen hierzulande zwar viele verschiedene Geldleistungen (Ehegattensplitting, Steuererleichterungen, Kindergeld); in unterstützende und entlastende Leistungen für Familien wird jedoch viel zu wenig investiert. Weniger als ein Viertel der Familienleistungen fließt in Kinderbetreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen. Wesentlich mehr fließt in die kostenfreie Mitversicherung der nicht erwerbstätigen Ehefrauen und in das Ehegattensplitting.
Eine unzureichende Betreuungsinfrastruktur und fehlende Anreize für Mütter, eine Arbeit aufzunehmen, bedeuten längere Erziehungszeiten und erschweren den Wiedereinstieg in den Beruf. Den Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen beziffert die OECD in einer neuen Studie auf 25 Prozent. Familien, die auf dem Alleinverdienermodell aufbauen, sind stärker armutsgefährdet als Doppelverdienerfamilien. Kinder, von denen nur ein Elternteil arbeitet, sind dreimal so oft von Armut betroffen wie Kinder, deren Eltern beide berufstätig sind.
Im Zentrum der Familienpolitik stand bislang der Schutz der Versorger- und Hausfrauenehe und nicht die Stabilisierung oder Mehrung der Geburtenrate oder die Erfüllung des Kinderwunsches. Familienpolitisch erfolgreiche Länder wie die nordischen Nachbarn verfolgen eine klare Geschlechterphilosophie: Gleiche Rechte und Pflichten für Männer und Frauen. Leitend ist dort das Modell der Doppelverdienerfamilie. 75 Prozent aller Paarhaushalte sind beispielsweise in Dänemark Zweiverdienerhaushalte. Der nordische Sozialstaat unterscheidet sich in einem fundamental vom deutsch-konservativen Modell: Er beginnt nicht bei Rentnern oder Arbeitnehmern, sondern bei den Babys.
Um das Kinderkriegen zu fördern und zu höheren Geburtenraten zu kommen, wird eine Politik umgesetzt, die auf alle Kinder abzielt und nicht allein denjenigen zugutekommt, die in der klassischen Ernährer-Hausfrau-Familie aufwachsen. Kinderförderung ist diesen Ländern wichtiger als Ehe- oder Familienförderung.
Vor einer entscheidenden Frage drückt sich der Zwischenbericht: Soll das Ehegattensplitting nicht besser in ein Familiensplitting weiterentwickelt werden? Viele in der Union fürchten, dass das Lebensmodell „Ehefrau“ dann zu einem Auslaufsmodell wird. Aber auch die SPD lehnt eine solche Weiterentwicklung ab, weil vor allem „reiche“ Familien profitieren würden. Vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr wird hier nichts passieren. Dennoch sollte die Frage öffentlich und breit diskutiert werden. Wen will die deutsche Familienpolitik eigentlich schützen, und was will sie erreichen?
Der Autor leitet den Thinktank „Berlinpolis“.
Daniel Dettling
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