Sind Universitäten unregierbar?: Auf die akademische Selbstverwaltung kommt es an
Nicht durch „Regierung“ von oben, nicht durch „Blockade“ von unten können Universitäten gestaltet werden. Auf die akademische Selbstverwaltung kommt es an: Mit Vernunft und Augenmaß, sagt HU-Historikerin Gabriele Metzler.
Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur (Un)regierbarkeit von Universitäten. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.
Ein Gespenst geht um an den Universitäten: die Unregierbarkeit. Als Hochschullehrerin begegne ich ihm dieser Tage häufig, zumal an meiner Universität, der Humboldt-Universität; und doch weigere ich mich, an die reale Existenz dieses Gespenstes zu glauben. Was soll „Unregierbarkeit“ denn heißen?
Freie Wissenschaft verträgt sich nicht mit "top-down-Regierung"
Wo kluge, kreative Köpfe versammelt sind, ist doch schon die Frage nach Regierbarkeit falsch gestellt. Freie Wissenschaft jedenfalls verträgt sich nicht mit „top-down-Regierung“, falls man diesen Begriff überhaupt damit assoziieren will. Gute Forschung und gute Lehre – und dafür sind die Universitäten in erster Linie da – können nur gelingen, wenn man all jenen, die forschen und lehren, möglichst freien Raum lässt; sie nicht gängelt durch allzu bürokratische Vorgaben und sie nicht einem hierarchisch organisierten Management unterwirft.
Aber machen wir uns nichts vor: Von Universitäten wird heute mehr erwartet als Exzellenz in freier Forschung und an Persönlichkeitsbildung orientierter Lehre, wie die Humboldt-Idealisten unter uns noch glauben mögen. Die Universitäten haben gesellschaftliche Aufgaben wahrzunehmen und wirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen, und längst ist ein ganzes Bündel externer ‚Stakeholder’ neben die akademische Selbstverwaltung der Universitäten getreten und mischt sich ein. Das ist kein Anlass für kulturkritische Anwandlungen oder eine durch Melancholie verzerrte Sicht auf eine vermeintlich sehr viel bessere Vergangenheit. Als öffentliche Einrichtungen müssen sich die Universitäten diesen Anforderungen stellen, und sie müssen ihre interne Governance darauf ausrichten.
Manager an der Spitze sind das Credo des New Public Managements
Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Dem Credo des New Public Management folgend, kann man Manager an die Spitze von Universitäten setzen, die mit scharfen Zielvorgaben und harten Evaluierungen Anreize für Spitzenleistungen zu setzen suchen. Komplementär oder alternativ kann man extern besetzten Hochschulräten Steuerungsmacht geben, die dann gesellschaftlichen Interessen zur Geltung verhelfen und Prioritätensetzungen innerhalb der Universität initiieren und steuern sollen.
Man mag mich Nostalgikerin nennen, wenn ich beides nicht für ideale Lösungen halte, sondern noch einmal die akademische Selbstverwaltung hochhalte. Damit meine ich gewiss nicht die Blockademacht, die manche universitäre Gremien, in einem Akt der Überkompensation der alten Ordinarienuniversität, in der Geschichte ausprägten. Auch die Frontstellung zwischen Gremien und Universitätsleitung oder ‚Großordinarien’ (so es sie noch gibt) ist heute historisch überholt.
Kluges Austarieren von Steuerung und Beteiligung
Denn nicht „Regierung“, sondern „Governance“ ist der Schlüssel zum Verständnis der Steuerung von Universitäten, und damit ist, vereinfacht ausgedrückt, das „Management von Interdependenz“ (A. Benz) gemeint. Nicht durch „Regierung“ von oben, nicht durch „Blockade“ von unten können Universitäten gestaltet werden, sondern durch kluges Austarieren von Steuerung und Beteiligung. Eine Universität muss als soziale Organisation in internen Debatten ihre Ziele definieren und sich auf Wege dorthin verständigen; und dass das Erreichen von unterschiedlichen Zielen allen Beteiligten unterschiedliche Anstrengungen abverlangen kann, liegt auf der Hand.
Mal genügen kleinere Umschichtungen im Budget, mal bedarf es einer Modernisierung von Verwaltungsstrukturen. All das sind keine Fragen von „Regierung“, sondern von Kommunikation, Transparenz und verantwortungsbewusster Partizipation. Eine kluge Universitätsleitung versteht sich als maßgebliche Instanz, die Impulse setzt für diese internen Verständigungsprozesse, sie zielorientiert moderiert und einer Entscheidung zuführt, die dann von der Universität mitgetragen wird.
Die unterschiedlichen Interessen an der Uni müssen anerkannt werden
„Management von Interdependenz“ heißt immer auch, die Existenz unterschiedlicher Interessen in den Mitgliedsgruppen der Universität anzuerkennen – so wie Erwartungen und Interessen seitens der Gesellschaft an die Universitäten anzuerkennen sind. Beteiligung daran, den Orientierungssinn einer Universität zu schärfen, kann im Sinne der akademischen Selbstverwaltung nur konstruktiv sein, wenn sie mit Vernunft und Augenmaß, mit Blick auf das universitäre Ganze und Bereitschaft zum Kompromiss erfolgt.
So lässt sich dann auch das Gespenst der „Unregierbarkeit“ dauerhaft verbannen, dorthin, wo es hingehört: in die Mottenkiste längst überholter Debatten.
- Die Autorin ist Professorin für die Geschichte Westeuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Gabriele Metzler