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Demonstrierende Schüler und Studente in Frankfurt am Main.
© dpa

Demokratie in Gefahr: Angst haben hilft nicht

Die Studentin Silke Mittnacht beschreibt, wie hoch der Druck auf junge Menschen ist und dass viele sich deshalb nur mit sich selbst beschäftigen, statt sich für andere zu engagieren. Sie sieht deshalb unsere Demokratie gefährdet. Ein Gastkommentar.

Viele haben Angst vor der Zukunft. Ich habe mich immer als optimistische Realistin gesehen. Das hilft, um auf neue Ideen zu kommen und Dinge voranzubringen. Doch bei einem Thema gerät mein Optimismus ins Wanken: Die Demokratie in Deutschland. Denn wie soll es mit unserer Demokratie weitergehen, wenn die aktuellen Voraussetzungen uns die Zeit einschränken, uns zu guten Demokraten zu entwickeln? Der Erhalt der Demokratie und das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die von Demokratie geprägt ist, ist für mich Kernelement der Zukunft. Daher mache ich mir große Sorgen.

Im Studium werden wir - wie schon in der Schule - mit straffen Stundenplänen konfrontiert. Es geht von einer Prüfung zur nächsten, und nach G8 und Bologna-Reform bleibt uns für die gleiche Menge an Inhalt weniger Zeit, um mit hervorragenden Noten zum Abschluss zu kommen. Der Druck auf die Jüngeren ist groß geworden. Der Arbeitsmarkt braucht den Nachwuchs. Doch dieser Nachwuchs benötigt Zeit, zu lernen, wie er eigenständig arbeiten und selbst Initiativen ergreifen kann. Die Freiheit, die wir brauchen, um uns in der Gesellschaft zu engagieren. Auch denen, die schon im Arbeitsleben angekommen sind, wird diese Möglichkeit häufig genommen, weil sie ständig erreichbar sein sollen oder müssen.

Ein Interesse für Gesellschaft und Politik zu zeigen, eine Haltung zu entwickeln, erfordert Zeit. Zugegeben: Es ist nicht so, dass wir keine Zeit mehr hätten. Doch das, was uns bleibt, investieren wir oft in die Neuen Medien, die durch ihre Vielzahl an Möglichkeiten immer unübersichtlicher geworden sind. Anstatt diese Zeit für die Stärkung der Demokratie zu nutzen, stecken wir sie lieber in die Pflege von sozialen Netzwerken. Sicherlich gibt es eine Fülle von Möglichkeiten sich zu informieren und aktiv zu werden, doch sie sind noch nicht ausreichend strukturiert. Mehr noch: Die Algorithmen der Netzwerke präsentieren uns die Informationen, die dem Mainstream entsprechen und der Komplexität der Themen nicht gerecht werden. Diese Einheitsmeinungen schaden der Gesellschaft durch ihre mangelnde Pluralität. Es entsteht kein vollständiges Bild an Meinungen und erschwert die Bildung einer eigenen.

Die jüngere Generation ist vor allem mit sich selbst beschäftigt

Besonders betroffen sind davon die Parteien. Warum soll ich mich für Politik interessieren, wenn doch alle scheinbar das gleiche wollen? Und wer hat schon die Zeit und Motivation, Parteiprogramme durchzukämpfen? Selbstverständlich tragen aber auch die Parteien hier Verantwortung. Sie müssen ihre Chancen besser nutzen, ihre Unterschiede und Inhalte kürzer und prägnanter fassen und über alle verfügbaren Kanäle gezielt vermitteln.

Nach wie vor erfolgt die Vermittlung auch über Personen, die Vorbilder sein müssen, denn unsympathischen Menschen gehen wir lieber aus dem Weg.

Leider unterstützt die Berichterstattung vieler Medien die Politik nicht. Eine Auseinandersetzung und Diskussion finden in vielen Fällen nicht statt. Kritik wird als solche nicht erkannt, weil Satire und Ironie in der Gesellschaft immer weniger verstanden werden. Ich kann aufgrund eigener Beobachtung sagen, dass gerade in der jüngeren Generation Sarkasmus häufig mit ernsthafter Argumentation verwechselt wird. Die Medien sollen Alternativen aufzeigen, damit das Interesse wieder wächst, sich kritisch und lösungsorientiert mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen. Nur auf der Grundlage umfassender Informationen mit der Fähigkeit, in Alternativen zu denken, können Zuspitzungen und einseitige Berichterstattung erkannt und eingeordnet werden.

Die jüngere Generation ist gegenwärtig mehr mit sich selbst beschäftigt. Die Suche nach dem Sinn und der Wunsch, sich etwas zu gönnen und sich finanziell abzusichern, sind wichtiger geworden als das Allgemeinwohl. Daher überlässt sie die politische Gestaltung verstärkt den Älteren. Wir brauchen den Nachwuchs, doch an diesem mangelt es vor allem in Vereinen und Parteien. Bei der abnehmenden Zahl, die sich engagieren, wächst die Angst, dass die Älteren nur Politik für sich machen und ihren Vorteil suchen, und die Jüngeren außen vor bleiben. Was wir brauchen ist Solidarität zwischen den Generationen – nicht nur der Generationengerechtigkeit wegen, sondern für eine funktionsfähige Demokratie. Es müssen vermehrt Freundschaften zwischen den Generationen entstehen, um einander zu motivieren und für Aufgaben in der Gesellschaft zu begeistern, um diese auch in Zukunft angehen zu können.

Wer immer wieder umzieht, hat weniger Möglichkeit, sich zu engagieren

Die Lebenswege haben sich verändert: Der Verbleib an einem Wohnort oder bei einem Arbeitgeber sind nicht mehr die Regel. Daher wollen sich viele nicht mehr auf Dauer an einen Verein binden, da sie nicht wissen, wie lange sie sich in diesen einbringen können. Es braucht daher mehr und neue Formen der Partizipation. Die Möglichkeiten müssen sich besonders auf das projektbezogene Mitarbeiten ausweiten. Viele Menschen sind bereit, sich für eine Sache einzusetzen, wenn diese zeitlich begrenzt ist. Dafür muss auch eine Willkommenskultur in den Vereinen geschaffen werden, die solches Engagement akzeptiert.

Auch unsere repräsentativen Organe brauchen mehr Partizipation. Das Engagement in Parteien ist wichtiger Bestandteil der repräsentativen Demokratie – für mich persönlich die beste Form der Demokratie. Sie steht für eine offene und pluralistische Gesellschaft, für Meinungsfreiheit und Gewaltverzicht, für eine strukturierte Interessenvertretung und die zivilisierte Auseinandersetzung – wenn es sein muss, auch durch Kundgebungen und Demonstrationen.

Silke Mittnacht, Jahrgang 1990, Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Silke Mittnacht, Jahrgang 1990, ist Studentin der Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart mit Schwerpunkt Grundlagen der (Stadt-)Planung. Seit 2007 engagiert sie sich in verschiedenen Vereinigungen und Verbänden der CDU und seit 2009 in der Hochschulpolitik. Sie ist Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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Doch auch das Angebot der Demokratie muss für alle, die in Deutschland leben und künftig leben wollen, zugänglich sein. Momentan erleben wir eine Zuwanderungswelle von Menschen, die in ihrer Heimat die Staatsform der Demokratie nicht kennen gelernt oder nicht einüben haben können. Wir müssen diesen Menschen helfen, dies nachzuholen, um die gleichen Startvoraussetzungen zu erhalten und in Zukunft gleichberechtigt und aktiv mitgestalten zu können.

Dies ist eine große Investition, die nicht preiswert ist, aber sich in Zukunft auszahlen wird.

In der Vergangenheit haben wir bereits mehrfach bewiesen, dass wir mit großen Herausforderungen fertig werden können. Wir werden auch die Aufgabe der Zuwanderung meistern, doch dafür müssen alle einbezogen werden. Jedes Detail der Zukunft können wir nicht vorhersehen. Aber ich werde sie weiterhin mit einer Prise Optimismus sehen.

Silke Mittnacht, Jahrgang 1990, nimmt teil am Demokratie-Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema Demographie am 21. November in Bonn. Tagesspiegel.de veröffentlicht diesen Beitrag in Rahmen einer Demographie-Diskussion in Kooperation mit der KAS.

Silke Mittnacht

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