Gastkommentar: Amerikas Kampf um die Gesundheit
Gesundheitsreform auf der Kippe: Warum Barack Obamas wichtigstes Projekt auf so viel Widerstand stößt.
Im Januar standen die Demokraten auf dem Höhepunkt ihres Triumphs. Die amerikanischen Wähler hatten die Republikaner bei der Wahl im Herbst wie 2006 aus den Ämtern gejagt; die Demokraten hatten die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen und stellten 60 Senatoren. Barack Obama, dessen Popularität stratosphärische Ausmaße angenommen hatte, kündigte damals ein umfassendes liberales innenpolitisches Programm an. Das ist ausgesprochen ehrgeizig, aber vieles davon hat er bereits umsetzen können. Eine Frage jedoch ist unbeantwortet: Wird auch Obamas Gesundheitsreform durchkommen?
Diese Frage stellt sich gerade jetzt, weil Washingtons Politpersonal im August in die Sommerpause geht und nach Hause fährt. „Die Gesundheitsreform steht auf Messers Schneide“, sagt Ben Smith, der für die Zeitung „Politico“ schreibt. „Jetzt kommt es darauf an, was die Wähler den Abgeordneten zu Hause zu dem Thema zu sagen haben.“ Die Abgeordneten sind in diesen Tagen in ihren Wahlkreisen politischen Kampagnen, Demonstrationen, sogar Todesbedrohungen ausgesetzt. Bei manchen öffentlichen Debatten kam es bereits zu Faustkämpfen. Und diese Aggression kommt nicht nur von rechts. Linke Gruppen drohen, jene gemäßigten Demokraten, die nicht für die große Reform – ein staatliches Versicherungsprogramm – stimmen wollen, beim Wahlkampf im nächsten Jahr nicht mehr zu unterstützen.
Die Chancen für eine solche große Reform sind schlechter geworden. Drei Ausschüsse im Repräsentantenhaus haben die Gesetzesvorschläge zwar gebilligt, aber im Senat findet man viele Demokraten, die nur eine kleine Reform wollen. Dafür arbeiten sie sogar mit den Republikanern an einem anderen Vorschlag.
Dass Obamas Vorhaben auf so viel Widerstand trifft, hat mehrere Gründe. Zu den politischen Vermächtnissen der Bush-Jahre gehört eine von dem Präsidentenberater Karl Rove geschaffene heißblütige Aktivisten-Armee, die gegen alles kämpft, was links ist. Diese Armee ist das neue Fundament der Republikanischen Partei, klein aber stark, und deshalb müssen auch die gemäßigten Republikaner auf sie Rücksicht nehmen.
Gleichzeitig ist auch die Linke zu neuem Leben erwacht. Nach ihrem langen Kampf gegen George Bush, den Irakkrieg, die „Patriot“-Gesetzgebung, die Machenschaften von Vizepräsident Cheney und vieles andere mehr sollte die Wahl Obamas eine neue Epoche linker Politik einläuten. Und dazu gehört eine staatliche Gesundheitsversicherung. Viele linke Abgeordnete haben sogar angekündigt, gegen jeden anderen Plan stimmen zu wollen.
Obama hat eine Reform versprochen, die die breite Unterstützung der Bevölkerung genießt. Doch in einer politisch so aufgeladenen Atmosphäre, in einem Land, das sich einem Dauerfeuer durch Blogs, 24-Stunden-Nachrichtenkanäle und politische Talkshows ausgesetzt sieht, haben es Nuancen oder auch politische Kompromisse sehr schwer.
Das zweite Problem ist die Wirtschaftskrise. Obama hat sie zwar von Bush geerbt, dennoch sind trotz des Erfolgs seines Konjunkturpakets nur ungefähr 50 Prozent der Wähler mit seiner Wirtschaftspolitik zufrieden. Trotz erster heller Streifen am Horizont steigen die Arbeitslosigkeit und das Haushaltsdefizit. In einer solchen Lage hat das Publikum kein Interesse an einer teuren Reform.
Obama selbst hat auch Fehler gemacht: Er hat keinen eigenen Vorschlag präsentiert, weshalb es zurzeit viele Entwürfe, aber keine Einigkeit über die Grundzüge einer Reform gibt. Zudem unterschätzt Obama die Macht der Republikaner – und überschätzt die Bedeutung von Überparteilichkeit. Die Demokraten sind allein stark genug: Eine „kleine“ Gesundheitsreform, die keine echte Universalversicherung wäre, könnten sie durchsetzen. Und angesichts der politischen Atmosphäre in Washington wäre ein solcher kleiner Sieg schon ein großer Sieg.
Der Autor arbeitet für „Democracy: A Journal of Ideas“ und ist derzeit Arthur-F.-Burns-Stipendiat beim Tagesspiegel.
Clay Risen
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