Aufruhr in der Arabischen Welt: Amerikas globale Führungsrolle steht auf der Kippe
Nach den anti-amerikanischen Übergriffen in der arabischen Welt bahnt sich in den USA ein außenpolitisches Schisma an. Für den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Mitt Romney, heißt das nichts Gutes.
Botschaften werden gestürmt, Diplomaten getötet, Fahnen verbrannt, islamistische Parolen skandiert. Der Anlass, ein 14-minütiger Videofilm, steht in keinem Verhältnis zur Reaktion. Geballte Wut entlädt sich, genährt von antiamerikanischen und antiwestlichen Ressentiments. Willkommen in der muslimischen Welt des „Arabischen Frühlings“!
Pessimisten sind manchmal gut informierte Realisten und ihre Weltsicht hat derzeit die Bilder auf ihrer Seite. Zwischen Tunesien und Syrien herrschen Chaos, Gewalt und Krieg. Vielerorts sind Islamisten an die Macht gekommen. Christen werden verfolgt, Religions- und Meinungsfreiheit weiterhin missachtet. Antiamerikanismus und Antiisraelismus sind virulenter denn je. Die Stabilität der Despoten wurde abgelöst durch instabile Dschihad-Demokratien.
Diese Sicht auf die Ereignisse ist auch in den USA verbreitet. In konservativen Kreisen wird sie ergänzt von einer islamkritischen Haltung. Als naiv verspottet wird Präsident Barack Obama für seine Rede in Kairo im Sommer 2009, in der er einen Neuanfang der Beziehungen zwischen Amerika und den Muslimen in aller Welt versprach. Als Verrat an den Interessen Israels wird seine Sympathie für die Tahrirplatz-Revolution in Ägypten angeprangert, als töricht der Krieg in Libyen zur Entmachtung von Muammar Gaddafi.
Video: Anhaltende Wut über Mohammed-Schmähfilm
Denn was ist der Dank? Ausgerechnet am Jahrestag der Anschläge vom 11. September begann in Ägypten und Libyen eine antiamerikanische Gewaltwelle, während die Sicherheitskräfte der neuen Machthaber tatenlos zusahen. Einige republikanische Kongressabgeordnete fordern die Kürzung der amerikanischen Entwicklungshilfe für Libyen und Ägypten. Doch Obama erhält überraschende Unterstützung. Ägyptens Präsident Mohammed Mursi sei kein Ayatollah Chomeini, die Hilfe für die nachrevolutionären Regierungen müsse sogar aufgestockt werden. Das schreibt in der „Washington Post“ Robert Kagan, ein Neokonservativer. Kagan warnt vor Islamophobie und erinnert daran, dass die Wahlen in Ägypten völlig demokratisch von den Muslimbrüdern gewonnen wurden. „Entweder wir unterstützen die Demokratie oder nicht.“ Zweifellos sei Ägypten heute demokratischer als je zuvor. Die Obama-Regierung habe zu Recht ihre Hände nach Mursi ausgestreckt.
Amerikas Außenpolitik ist plötzlich Wahlkampfthema.
Ein neues außenpolitisches Schisma bahnt sich in Amerika an. Auf der einen Seite interventionsskeptische (einzige potenzielle Ausnahme: Iran), islamkritische, pro-israelische Konservative, auf der anderen Seite rechte Neocons, humanitäre Interventionisten und idealistische Liberale. Für den Herausforderer der Republikaner, Mitt Romney, heißt das nichts Gutes. Amerikas Außenpolitik ist plötzlich Wahlkampfthema. Romney muss sich also entscheiden. Schon als er Robert Zoellick, den ehemaligen Weltbank-Präsidenten und Realisten, zu seinem Berater in Fragen der nationalen Sicherheit erklärte, tobten die Neokonservativen. Jeder Schritt auf diese zu verstärkt indes den Widerstand der starken „Ohne-mich-Fraktion“ (Tenor: Die Araber sollen sehen, wie sie allein zurechtkommen). In Sachen Reaktion auf den „Arabischen Frühling“ hat Romney die Wahl zwischen falsch und verkehrt.
Bildergalerie: Botschaften in der arabischen Welt gestürmt
Neocons wie Robert Kagan, Dick Cheney, Elliot Abrams (stellvertretender Sicherheitsberater von George W. Bush), William Kristol („Weekly Standard“) oder Danielle Pletka („American Enterprise Institute“) haben die Rebellionen in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien stets verteidigt, ja triumphal begrüßt. In ihnen sei die Saat des Keimes aufgegangen, der durch die Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak gelegt wurde. Der Dominoeffekt des Freiheitsgedankens wurde ebenso bewiesen wie die Richtigkeit der Freiheitsagenda von George W. Bush.
Video: Polizisten vernehmen mutmaßlichen Mohammed-Regisseur
Amerika habe in der Region vitale Interessen, sagen die Neocons. Noch stärker als bisher müssten daher die demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte unterstützt werden. Der Übergang brauche Zeit, nachrevolutionäre Eruptionen seien normal. Die stabilitätsfixierte Realpolitik, durch die sich die Despoten jahrzehntelang an der Macht halten konnten, sei falsch und unmoralisch gewesen. Die konservativen Apokalyptiker des „Arabischen Frühlings“ begehen aus neokonservativer Sicht Verrat an den Werten Amerikas. Neocons würden am liebsten sofort in Syrien intervenieren. Das aber ist unpopulär, wie Interventionen überhaupt unpopulär geworden sind in Amerika. Wie aber will Romney die Nahost-Politik Obamas kritisieren, wenn der amtierende Präsident ausgerechnet von Neokonservativen für seine Unterstützung der Revolutionen gelobt wird?
Isolation oder Einmischung, Realismus oder Idealismus: Amerikas Präsidentschaftswahlkampf dreht sich nun auch um die Frage, ob das Land weiterhin eine globale Führungsrolle übernehmen will.
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