Kongresswahlen in den USA: Amerikas Enten lahmen unterschiedlich
Am 4. November wählen die Amerikaner ihr neues Parlament. Barack Obamas Partei wird zwar verlieren, aber seine Niederlage wird sich im Vergleich zu George W. Bush und Bill Clinton in Grenzen halten. Ein Kommentar.
Es gehört zu den zweifelhaften Moden unserer Zeit, dass manche Medien selbst die regelhaften und insofern erwartbaren Ereignisse mit der Aura eines historischen Einschnitts oder gar einer Sensation versehen. In einer Woche wird Barack Obama zur „Lame Duck“. Seine Demokratische Partei wird die Kongresswahl verlieren, im Abgeordnetenhaus wie schon seit 2010 die Minderheit stellen und wohl zusätzlich die Mehrheit im Senat einbüßen. Dann hätte Obama in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit die parteipolitischen Mehrheiten im beiden Kammern gegen sich. So weit, so normal. Keinem US-Präsidenten der vergangenen 35 Jahre ging es besser.
Amerikas „lahme Enten“ watscheln in ihren letzten zwei Jahren freilich unterschiedlich. Es kommt ganz darauf an, unter welchen Umständen sie zur „Lame Duck“ werden, ob ihre Beliebtheitskurven und die ihrer Gegner nach oben oder nach unten weisen.
Obama vertrauen immerhin noch 41 Prozent der Bürger
Gleichwohl kann man jetzt lesen, Obamas Lage sei ein absoluter Tiefpunkt. Und selten – oder gar: nie – habe ein Präsident schlechter dagestanden als er. Die Umfragen sprechen eine andere Sprache. Obama vertrauen immerhin noch 41 Prozent der Bürger. Bei George W. Bush waren es zum vergleichbaren Zeitpunkt im Herbst 2006 nur 37 Prozent. Bill Clintons Ansehen war bereits nach zwei Jahren im Amt auf 33 Prozent abgestürzt, die Demokraten büßten bei Clintons erster „Mid term election“ 1994 60 Sitze ein. Nur weil die Republikaner ihr unverhofftes Übergewicht im Kongress unter dem allzu machtgierigen „Speaker“ Newt Gingrich missbrauchten, konnte Clinton auf der Beliebtheitsskala allmählich wieder klettern. 1996 wurde er wiedergewählt. 1998 gelang es ihm als erstem Präsidenten der Neuzeit, bei der "Mid term election", seiner zweiten, wenige Sitze für seine Partei hinzuzugewinnen; die Mehrheit freilich verfehlte er weit.
Unter Bush verloren die Republikaner bei dessen zweiter Zwischenwahl 30 Sitze im Abgeordnetenhaus. Eine solche Demütigung bleibt Obama wohl erspart; seine Demokraten werden ihre Stellung im Abgeordnetenhaus in etwa halten. Derzeit spricht auch wenig für einen so rapiden Ansehensverfall, wie ihn Bush in den letzten zwei Amtsjahren erlebt hatte: auf weit unter 30 Prozent.
Das größte Problem für Obama ist die scharfe Polarisierung zwischen beiden Lagern. Er hat sie nicht geschaffen, sondern geerbt. Aber anders als Bill Clinton ist es ihm nicht gelungen, sie wenigstens so weit zu mildern, dass Gesetzeskompromisse bei den drängendsten Problemen möglich werden. Wessen Schuld das ist, da scheiden sich die Geister. Obamas Anhänger werfen den Republikanern eine prinzipielle Blockade vor. Seine Gegner sagen, der Präsident habe ihnen nie glaubwürdige Kooperationsangebote gemacht. Die Blockade des politischen Betriebs ist jedenfalls der Hauptgrund für die Enttäuschung, mit der so viele auf Obamas Präsidentschaft blicken. Seit er ohne Parlamentsmehrheit regieren muss, seit 2011, hat sich nichts Entscheidendes mehr bewegt. Da hilft es wenig, dass er in den ersten zwei Amtsjahren mehr erreicht hat als andere Präsidenten in ihrer gesamten Amtszeit: die Gesundheitsreform, atomare Abrüstung, die Reform der Aufsicht über die Finanzmärkte, zwei neue Verfassungsrichterinnen, darunter die erste Latina, einen neuen Umgang mit Homosexuellen im Militär. Er führte die USA aus der tiefsten Rezession seit den 1930er Jahren wieder auf Wachstumskurs und halbierte die Arbeitslosenrate. Auch die Rate der Neuverschuldung ist zuletzt zurückgegangen.
Obamas letztes Viertel wird eher dem Bushs gleichen
Doch das Gefühl des Stillstands währt nun schon länger als die kurzen ersten zwei Jahre zügiger Erfolge. Nun beginnt unabwendbar die „Lame Duck“-Periode, woher soll da neuer Schub kommen?
Dieser Ausfall amerikanischer Regierungs-Power wird umso spürbarer, als der Zustand der Welt volle Handlungsfähigkeit verlangt. Das war in Clintons letzten zwei Jahren noch anders. Der Westen wähnte sich in einer Friedensperiode nach dem Ende des Kalten Kriegs, die Wirtschaft lief gut. Obamas letztes Viertel wird eher dem Bushs gleichen, dominiert von dem Gefühl, dass einige Erdregionen einem Sumpf gleichen, aus dem man sich besser zurückzieht und den man dennoch nicht ignorieren darf.
Vielleicht gelingt eine große Reform doch noch: die des Einwanderungsrechts. Wenn es so kommt, dann nicht, weil die Republikaner Obama den Erfolg gönnen, sondern weil sie auf die Präsidentschaftswahl 2016 blicken. Ohne die Stimmen der Latinos wird ihr Kandidat kaum gewinnen können.
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