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Vom Tiber an die Spree. Die Schriftstellerin Taiye Selasi.
© Mike Wolff

Literaturmagazin "Freeman's": Zwischen Lagos und Lageso

Premiere im Weddinger Silent Green: Das amerikanische Literaturmagazin „Freeman’s“ stellt sich mit drei schwarzen Stimmen vor.

Wie die Dinge manchmal zusammenkommen. Da gibt es seit fünf Jahren erst in Rixdorf, dann in Neukölln, ein Ideenlabor namens Savvy Contemporary, das mit vereinten Kräften dagegen vorgeht, dass Weltkultur mit Westkultur verwechselt wird: Vor allem Afrikas Künstler und Intellektuelle haben es dem Team rund um den aus Kamerun stammenden Ausstellungsmacher Bonaventure Ndikung angetan. Da gibt es im Wedding das vom Krematorium zum Kulturrevier umgebaute Silent Green, das Savvy Contemporary ab kommenden Februar eine neue Heimat bieten wird, nachdem es die alte in der Richardstraße kürzlich verloren hat. Da gibt es mit „Freeman’s“ (Grove/Atlantic) ein nagelneues, mit Unterstützung der New Yorker Universität The New School erscheinendes Literaturmagazin, das von dem Kritiker und ehemaligen „Granta“-Chef John Freeman herausgegeben wird. Und da gibt es in Gestalt von Taiye Selasi eine namhafte, vor einem guten Jahr von Rom nach Berlin gezogene Schriftstellerin, die sowohl gute Beziehungen zu Savvy Contemporary wie zu Freeman unterhält.

Könnte man, fragte sie sich, unter Beteiligung der schwarzen, in Berlin ansässigen Stimmen von „Freeman’s“, nicht eine Premierenfeier ausrichten? Man konnte, und so erwärmte am Mittwochabend eine englischsprachige literarische Parallelgesellschaft die eisige Kuppelhalle des Silent Green – mit dem all american boy Freeman als smartem Zeremonienmeister. Fernab von New York, dessen skandalösem Wohlstandsgefälle er im vergangenen Jahr die Anthologie „Tales of Two Cities“ (OR Books) gewidmet hatte, erschien Berlin dabei geradezu als Idealfall einer weltoffenen Stadt. Nur der deutsche Zoll drückte das Hochgefühl: Während „Freeman’s“ mit dem offenbar türöffnenden Thema „Arrival“ stapelweise in den Wedding gelangt war, hatte er die Exemplare der „Tales“ einbehalten.

Zu den Entdeckungen des künftig zweimal pro Jahr erscheinenden „Freeman’s“, das mit unveröffentlichten Texten von Haruki Murakami, Lydia Davis und Aleksandar Hemon auch viele prominente Namen enthält, zählt unter anderem die aus dem Sudan stammende Fatin Abbas, eine Absolventin von Colum McCanns Schreibkurs am New Yorker Hunter College. Auf fünfzig Seiten aus ihrem noch unveröffentlichten Debütroman erzählt sie von einer fiktiven sudanesischen Grenzstadt. Auch sie ist seit letztem Frühjahr begeisterte Berlinerin, lebt in Alt-Treptow und teilt sich ein Büro mit einem muslimischen Pakistaner und einem schwulen amerikanischen Juden, wie sie in ihrem Blogbeitrag „Why You Should Move To Berlin To Be A Writer“ erzählt (lithub.com). Dass ihr erst das späte Privileg eines US-Passes diese Freiheit verschafft hat, weiß sie genau – wie auch Taiye Selasi ihre Weltläufigkeit nicht als selbstverständlich hinnimmt.

Der britische Pass verschafft ihr Reisefreiheit

Unter anderen Umständen würde sie glatt als „alien of extraordinary ability“ durchgehen, wie das amerikanische Einwanderungsrecht Künstler, Wissenschaftler und Sportler mit besonderen Verdiensten nennt. Selasi jedoch, 1979 als Tochter nigerianisch-ghanaischstämmiger Eltern in London geboren und vor den Toren von Boston aufgewachsen, hatte von Beginn an das Glück eines britischen Passes, eines Studiums in Yale und Oxford und eines weltweit erfolgreichen Romans namens „Ghana Must Go“ (Diese Dinge geschehen nicht einfach so). Berlin, merkte sie schon nach ihren ersten Besuchen, ließ sie ihren Kulturenmischmasch viel freier leben als New York.

Die hässliche Kehrseite des schönen, von ihr selbst populär gemachten Begriffs der Afropolitans musste ihr nicht erst die Mitarbeit an „Exodus“ verdeutlichen, Hank Levines Dokumentation zur globalen Flüchtlingsproblematik, die nächstes Jahr in die Kinos kommen soll. Als passionierte Sammlerin von Begriffen rund um das Asylrecht erscheint ihr schon die deutsche „Duldung“ kurios – wobei sie nicht zuletzt durch ihren Stuttgarter Cousin, den Rapper Sékou Neblett, der in dem Film „Blacktape“ die Geschichte des deutschen Hip-Hop nachzeichnet, mit den hiesigen Verhältnissen vertraut ist.

Der Dritte im panafrikanischen Bund an der Spree ist der britische Grafiker, Erzähler und Kreativagentur-Chef Michael Salu (salu.io), der Freeman seit „Granta“- Zeiten kennt. Sein Ringen mit den eigenen nigerianischen Wurzeln ist weitaus spannungsreicher als bei Selasi oder Abbas. Aber wo findet sich das richtige Maß für Heimat- und Heimatlosigkeitsgefühle? Bei den Kochbanen und dem feuchten warmen Wind, den Taiye Selasi als erstes mit Ghana und Nigeria assoziiert? Oder bei jenem Geschichtsvakuum in Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte, auf das eine in Berlin geborene Afrodeutsche am Ende hinwies?

Es stimmt wohl, dass die 1884/85 bei der Berliner Konferenz zur Kongofrage unter 14 Ländern beschlossene Aufteilung Afrikas keinen Eingang in das deutsche Nationalnarrativ gefunden hat. Es wird bestimmt von der Neugründung des Landes nach 1945. Doch eigentlich kann weder von mangelnder historischer und literarischer Aufarbeitung geschweige denn von Leugnung die Rede sein – höchstens von der Notwendigkeit, diese Vergangenheit sehr viel anschaulicher ins Bewusstsein zu heben als bisher. Taiye Selasi und ihre Freunde aus aller Welt bieten nun jedem, der Augen und Ohren hat, die Gelegenheit dazu.

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