Karl Ove Knausgård und sein Romanzyklus: Zum Schriftsteller gekämpft
In der Form seines Lebens und Schreibens: Mit "Träumen" erscheint jetzt auch der fünfte Teil von Karl Ove Knausgårds "Min-Kamp"-Erinnerungswerk. Anfang Oktober ist der Autor in Berlin zu Gast.
Es ist mal wieder einer dieser Tage, an denen der junge Karl Ove Knausgård von Selbstzweifeln geplagt wird. Er kommt von der Schreibakademie im norwegischen Bergen nach Hause und weiß: Ich bin kein Schriftsteller, höchstens ein Journalist, ein „Sekundärmensch“. Es ist dann aber auch einer der weniger häufigen Tage, an denen Knausgård gegen diese Selbstzweifel ankämpft und seinen unbedingten Willen dokumentiert, Schriftsteller zu werden: „Wenn ich ganz unten war, musste ich mich nach oben kämpfen. Akzeptierte ich, dass ich dort unten hingehörte, in die fürchterliche Tiefe von Unreife und fehlender Begabung, hatte ich verloren. Das konnte ich nicht.“
Als Leser lechzt man geradezu nach solchen Willensbekundungen, denn die Lektüre dieses fünften, fast achthundert Seiten zählenden Bandes von Karl Ove Knausgårds „Min-Kamp“-Saga ist bisweilen ein irritierendes Vergnügen. Zum einen bekundet der angehende Schriftsteller fast pausenlos, dass er auf dem Papier nichts zuwege bringt, dass er ein Scheiterer ist, auch weil er nach nur einem Jahr auf der Schreibakademie diese wieder verlässt und ein Studium der Kunstgeschichte beginnt. Und dass er seinen Neid und seinen Ärger kaum unterdrücken kann, wenn er Texte seiner Freunde Espen und Tore zu lesen bekommt.
Zum anderen aber ist „Träumen“, wie dieser Roman auf Deutsch heißt, ein Dokument des schriftstellerischen Erfolgs des 47 Jahre alten Norwegers, so wie jeder der bisher veröffentlichten „Min-Kamp“-Bände, die hierzulande weniger provokativ, aber stimmig „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“ und „Leben“ heißen. Während sich der Erfolg in Deutschland aber erst allmählich einstellt, ist Knausgård anderswo schon länger ein literarischer Superstar: in Norwegen sowieso, wo die Bände zwischen 2009 und 2011 erschienen sind und sich bei einer Einwohnerzahl von fünf Millionen über 500000mal verkauft haben. Aber auch in anderen skandinavischen Ländern – und besonders den USA, wo seine Bücher gleichfalls Bestseller sind, der Norweger regelmäßig zu Lesereisen eingeladen wird und sich Kollegen wie Jeffrey Eugenides oder Jonatham Lethem vor Begeisterung nicht einbekommen.
"Träumen" ist der Künstlerroman des sechsteiligen "Min-Kamp"_Zyklus'
„Träumen“ könnte man als den Künstlerroman dieses Romanzyklus’ bezeichnen, nach dem Bildungsroman „Leben“, dem Kindheitsroman „Spielen“, dem Familien- und Liebesroman „Lieben“ und dem Vaterroman „Sterben“, wobei die Gattungsgrenzen in den einzelnen Bänden sehr fließend sind. Um Knausgårds Bergener Zeit geht es, die 14 Jahre lang dauert, von 1988 bis 2002, bevor er nach Schweden übersiedelt, wo er heute noch mit seiner Frau Linda und vier Kindern in der Nähe von Ystad lebt. „Ich wollte so viel, wusste so wenig, brachte nichts zustande“ heißt es zu Beginn resümierend und auch kokett. Knausgård erzählt, wie er mit seinen ersten Roman ringt („er war ein hoffnungsloser Fall, aber ich näherte mich dem Ende“), dass er Beiträge für Zeitschriften und Sammelbände verfasst, von Kontakten mit Verlagen. Und wie stolz er ist über den Absagebrief des von ihm bewunderten Schriftstellers Lars Saabye Christensen: „Für einige Minuten hatte ich immerhin seinen Kopf mit dem gefüllt, was sich in meinem befand!“
Aber Knausgård erzählt eben auch von seinem ganzen Lebensrest: den Liebschaften, der ersten Heirat, den Seitensprüngen. Von Reisen nach Griechenland und Florenz, Aufenthalten in Norwich und auf Island, von den Sauftouren, die er unternimmt, in der Regel mit seinem Bruder Yngve, von den Bands, in denen er am Schlagzeug dilettiert, von seinen Jobs als Hilfspfleger und auf einer Bohrinsel.
Besonders spektakulär ist das nicht, dieses Leben. Es ist das eines jungen Menschen aus bürgerlichen Verhältnissen, der anders sein will (Schreiben, Indierock, bis zum Anschlag saufen), der aber spürt, wie wenig diese Andersheit doch hermacht. Spektakulär ist jedoch die Radikalität, mit der Knausgård dieses Leben in einer schmucklosen, melodiös schlingernden, von Paul Berf zuverlässig ins Deutsche übertragenen Prosa detailliert beschreibt, die „wenigen Ereignisse und eine Vielzahl von Stimmungen“, wie er es nennt. Und wie er mit sich ins Gericht geht, sich entblößt: Da ist die Brutalität, die er an den Tag legt, als er total betrunken seinem Bruder ein Glas ins Gesicht schleudert. Da sind die Schnitte, die er sich selbst im Gesicht zufügt. Oder die Seitensprünge, die seine Ehe zerbrechen lassen, und ihm am Ende sogar Vergewaltigungsvorwürfe einbringen. Ein sympathischer Mensch ist dieser Erzähler nicht, aber diese Ungeschminktheit, dieses unablässige Sehnen nach dem Wirklichen, eben der Wahrheit, macht den Reiz dieses Romanzyklus’ aus.
Karl Ove Knausgård ist ein begnadeter Erinnerungskünstler, der sehr wohl um die Unzuverlässigkeit und Willkür von Erinnerungen weiß: „Zu entscheiden, was korrekt in Erinnerung bleiben soll, ist dir niemals vergönnt“, heißt es in „Spielen“. Aber darum geht es ihm: Erinnerungen festhalten und damit die Zeit zu fassen bekommen, die Zeit „die durch den Kokon strömt, der unser Leben ist“. Und gehört dazu nicht auch, so fragt er einmal, sich eines x-beliebigen Einkaufs an einem x-beliebigen, lange zurückliegenden Tag bewusst zu werden? Oder eines „dunkler werdenden Himmels, bis zu dem schwarz und kahl der Wald stand?“ Und: „Welchen Sinn hatte es zu sehen, wenn man nicht darüber schreiben konnte, was man sah? Welchen Sinn hatte es zu erleben, wenn man nicht darüber schreiben konnte, was man erlebte?“
Knausgård hat die „Recherche“ von Marcel Proust „regelrecht verschlungen
Knausgård hat die „Recherche“ von Marcel Proust „regelrecht verschlungen“, sein Erinnerungswerk wird gern mit dem von Proust verglichen. Nur maßt der norwegische Schriftsteller sich nicht an, auf künstlerischer Augenhöhe mit dem Vorbild zu sein. Aber seine Bücher sind schon von einer großen Schönheit durchdrungen. Etwas räudig Erhabenes geht von ihnen aus, und sie vermögen es, dass man sich in ihnen regelrecht verliert – ohne das diese Literatur nun gleich, so Knausgård in einem verhalten größenwahnsinnigen Moment, „durch ihre Epoche hindurchstrahlt“.
Das Ende von „Träumen“ trägt jedoch wirklich ein paar proustische Züge, von der „Wiedergefundenen Zeit“ zumal, dem letzten Band der „Recherche“- Knausgård ermöglicht hier Blicke auf den Grund der Komposition seines Lebensmaterials. Der Tod des Vaters und dessen Beerdigung in Kristiansand, die im Zentrum des ersten Bandes standen (im Wechsel mit Karl Oves Zeit der Pubertät), fallen hier zusammen mit der Veröffentlichung des ersten (noch nicht ins Deutsche übersetzten) Romans, für den Knausgård prompt den Kritikerpreis Norwegens bekam. Und schließlich erwähnt Knausgård, dass er während weiterer krisenhafter Jahre nur noch Romananfänge produziert habe: darüber, wie er mit dem Vater und dem Bruder zum Angeln frühmorgens rausfährt (der Beginn von „Spielen“). Oder darüber, wie zwei Brüder das schrecklich verkommene Haus ihres verstorbenen Vaters putzen müssen. Und überhaupt: „Fast alles, was ich schrieb, handelte in irgendeiner Weise von ihm.“
Der Erzähl- und Lebenskreis schließt sich. Doch anders als vergleichbare Erinnerungskünstler, deren Leben praktisch mit der ersten Buchveröffentlichung keinen Stoff mehr hergibt, weil es nur noch aus Schreiben besteht (etwa bei Peter Kurzeck, Patrick Modiano), erzählt Knausgård im letzten, 2017 auf Deutsch erscheinenden Band, wie „Min Kamp“ und die Reaktionen darauf sein Leben und das seiner Familie umgekrempelt haben. Soviel Wahrheit muss auch noch sein.
Karl Ove Knausgård: Träumen. Roman. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand, München 2015. 794 S., 24, 99 €.
Am 2. Oktober veranstalten die Berliner Festspiele anlässlich des Erscheinens des fünften Teiles "Einen Tag mit Karl Ove Knausgård". In der langen Nacht mit Lesungen spricht der Autor mit "taz"-Literaturredakteur Dirk Knipphals. Anschließend lesen die Schauspieler Thomas Sarbacher und Aleksandar Radenković aus Knausgårds Werken.
Ab 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, Charlottenburg
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