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Schwingende Schalen. Detail aus Rolf Julius’ Installation „Backstage“ von 2008.
© Rolf Julius, Estate Rolf Julius

Klangkunst: Zirpen, Brummen, Stille

Sound als Kunst: Im Hamburger Bahnhof erklingen Werke von Rolf Julius und Nina Canell.

Wie falsch ein Ton zur Farbe klingen kann, hört allein der Experte. Rolf Julius verfügte über diesen Reichtum an Erfahrung: Wo immer der Berliner Künstler farbige Pigmente mit Klängen aus der Natur oder aus Instrumenten verband, entstanden stimmige Installationen.

Seinen Arbeiten sieht man diese Präzision nicht sofort an: „Backstage“ von 2008 steht im Hamburger Bahnhof auf einem Holzpodest und wirkt auf den ersten Blick wie eine konservierte Ateliersituation: ein Durcheinander aus chinesischen Lackschüsseln und Porzellanschalen, Tütchen, Pflastersteinen und Kabeln sowie Hoch- oder Mitteltönern, aus denen es mal zirpt, mal brummt. So leise allerdings, dass man genau zuhören muss und im Moment der Konzentration den Eindruck gewinnt, Sound und Material seien untrennbar miteinander verschmolzen.

Einen ähnlichen Eindruck vermitteln die Arbeiten von Nina Canell. Obwohl sich die in Schweden geborene Künstlerin, Jahrgang 1979, und der weit ältere Rolf Julius nie begegnet sind, bringt sie die aktuelle Ausstellung „Lautlos“ im Hamburger Bahnhof zusammen. Canells kleinen, von Rinde befreiten Ast, durch den so viele Volt gegangen sind, dass die Brandspur auf seiner Oberfläche eine schwarze, abstrakte Zeichnung hinterlassen hat – und daneben Julius’ mit Pigment gefüllte Lautsprecher, die den leuchtend farbigen Staub auf ihren Membranen immer wieder zum Pulsieren bringen.

Beide Künstler setzen auf den Zufall. Ob Strom oder Schallwelle, physikalische Phänomene werden für einen Impuls genutzt, der die Skulptur auf seine Weise formt – ohne dass sich die Vorgänge bis ins Detail kontrollieren ließen. In beiden Fällen komplettiert sich die Arbeit erst in der Wahrnehmung durch den Betrachter, der die Sinneseindrücke im Kopf zusammenbringen muss. Schließlich arbeiten Canell wie Julius entschieden gegen das Monumentale. Die gefragte, in Berlin lebende Künstlerin liebt und arrangiert Steine, Eisenspäne und Melonenkerne zu ästhetischen Ensembles, die Versuchsanordnungen ähneln, aber nichts beweisen wollen. Außer dass sich im Partikulären, in Arbeiten wie „Ode to Outer Ends“ ebenso das Universum spiegelt wie in der großen skulpturalen Geste.

Das wäre sicher ganz im Geist des 2011 verstorbenen Julius. Er experimentierte ab den siebziger Jahren mit Tönen und Farben, um den Klang buchstäblich zu formen. Dabei ging es nie um optische oder akustische Überwältigung. Der Künstler, der sein Studium an den Akademien in Bremen und Berlin absolvierte, wollte die Sinne schärfen. Rolf Julius: „Immer werden nur die großen Klänge bevorzugt. Aus diesem Grund beschäftige ich mich mit Klängen, die nicht so brillant und klar klingen. Aus Gründen der Gleichberechtigung.“ Tatsächlich steuert in seinem Werk die Musik die Bewegung, fungiert jedes Kabel im Raum als Zeichnung und hängen die visuellen Eindrücke untrennbar mit den akustischen zusammen. Dass der Betrachter sie nicht unmittelbar miteinander verbinden kann, ist pure Absicht. Bei ihm wie bei Canell gelangt man bloß über den Umweg der Assoziation zum Kern ihrer Absichten.

Gründe genug also für eine Gegenüberstellung der Werke, von denen die Sammlung der Nationalgalerie jeweils Arbeiten besitzt. Eine „dialogische Situation“ nennen die Kuratoren Gabriele Knapstein und Eugen Blume ihre sehenswerte Ausstellung – und bieten im Obergeschoss des Hamburger Bahnhofs einen großzügigen Parcours, der geistige Verwandtschaften und Differenzen offenbart.

Denn das Treffen der Generationen weist sehr wohl Unterschiede aus. Canell und Julius mögen sich ähneln in ihrem Vertrauen auf die Wirkmacht des Ephemeren, Instabilen. Mit ihren Materialien aber gehen sie konträr um: Der von Cage beeinflusste Julius färbt die Räume akustisch und kultiviert den Ton. Canell dreht ihm mitunter die Luft ab. Typisch für die Künstlerin ist eine Arbeit wie „Passage (Saturated)“: Hier hängt eine Klingel dank Vakuumpumpe im luftleeren Raum. Sie macht weiterhin Geräusche – doch der Schall wird unter der Glasglocke nicht mehr weitergeleitet, dem menschlichen Ohr erscheint die Arbeit stumm.

Ein simpler Trick, das lernt man im Physikunterricht. Doch Canell macht kein Geheimnis aus den Zutaten ihrer Skulpturen. Im Gegenteil: Eben weil sie Selbstverständliches wie Luft oder Sauerstoff umlenkt, verdichtet oder durch Neongas ersetzt und die Vorgänge minutiös hinter den Titeln notiert, widmet man sich überrascht den Dingen, die man längst zu kennen glaubt. Die Ausstellung macht einen ebenso wenig zum Spezialisten für die von Canell postulierten „symbolischen Fähigkeiten“ der Materialien, wie sich ein absolutes Gehör für Farbklänge einstellen will. Doch sie gibt eine Ahnung von der Fülle der Zwischentöne.

Ausstellung „Lautlos“. Bis 21. April, Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51. Di/Mi/Fr 10-18, Do 10-20, Sa/So 11-18 Uhr

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