Oscar-Anwärter "Green Book": Ziemlich bester Fahrer
Der Oscar-nominierte Film „Green Book“ von Peter Farelly gibt sich antirassistisch. Tatsächlich setzt er eine schwierige Hollywood-Tradition fort.
Im restaurativen Rassismusdrama hält sich die Fried-Chicken-Szene als Wendepunkt in der Aussöhnung zwischen weißen und afroamerikanischen Protagonisten mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Dreißig Jahre ist es nun her, dass die Southern Lady in „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ nach den Instruktionen ihres sanftmütigen Fahrers Hoke ein paar Hühnerschenkel in der Pfanne brutzelte. Danach sah ihr Verhältnis gleich ein bisschen weniger asymmetrisch aus und Miss Daisy erklärte dem von Morgan Freeman gespielten Chauffeur mit trutschigem Stolz: „Nun können wir beide unser Fried Chicken machen!“
Ein ähnlicher Moment wiederholte sich 2011 im preisgekrönten Disneyfilm „The Help“, in dem eine junge Journalistin in den frühen sechziger Jahren für ihr Buch die Lebensgeschichten weiblicher schwarzer Hausangestellter in den Südstaaten recherchiert. Aus Begeisterung über das knusprig Frittierte setzte sich die einzige anständige „Ma’am“ unter den weißen Scheusalen sogar zu ihrer Minny an den Küchentisch.
Auch Peter Farrellys „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ kommt nicht ohne das rassistische Klischee aus. Doch bevor die Hühnchenteile am Ende wieder Versöhnung stiften, vollzieht der Film erst ein paar Wendungen. Hier ist es der einfach gestrickte Italo-Amerikaner Tony „The Lip“ Vallelonga (Viggo Mortensen), der seinen Arbeitgeber, den klassisch ausgebildeten Konzertpianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali), in die schwarze Esskultur des amerikanischen Südens einführt. Der distinguierte Shirley, dem die fettigen Dinger ein Graus sind, weist das weitverbreitete Vorurteil anfangs scharfzüngig zurück, kommt aber schließlich doch auf den Geschmack. Das „Bonding“ ist in „Green Book“ doppelt konnotiert – wodurch sich auch die paternalistische Geste dahinter verdoppelt. Mit Tonys Hilfe hat der durch Lebensstil und Status von „seinen Leuten“ entfremdete Afroamerikaner endlich wieder eine gute Verbindung zur „authentischen“ schwarzen Kultur.
Man muss sich wundern. Denn seit in „The Help“ eine weiße Frau loszog, um schwarze Haushälterinnen zu emanzipieren (worauf eine von ihnen ihrer Chefin Hundescheiße in den Schokoladenkuchen mischt), hat sich in Hollywood in Bezug auf die Darstellung von People of Color einiges getan. Nicht zuletzt dank der verstärkten Präsenz afroamerikanischer Filmschaffender. „Green Book“, vom deutschen Verleih als „Wohlfühlfilm“ angekündigt und für fünf Oscars nominiert (darunter als bester Film), zeigt, wie wackelig dieser Diversitätsprozess noch immer ist. Neben der James-Baldwin-Verfilmung „Beale Street“ von „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins (bei den diesjährigen Awards fast gänzlich ignoriert) und „BlacKkKlansman“ von Spike Lee, die beide, wenn auch sehr verschieden, von strukturellem Rassismus erzählen, wirkt „Green Book“ wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. In den USA dreht sich die aktuelle Kritik an Farrellys Film, der auf einer wahren Geschichte beruht, unter anderem um die Frage der Deutungshoheit. Vallelongas Sohn Nick, der am Drehbuch mitschrieb, soll sich aus dem Arbeitsverhältnis eine Freundschaft herbeifabuliert haben, wirft die Shirley-Familie dem Co-Autor vor. Sie sei erst gar nicht gefragt worden.
Auf den ersten Blick tritt „Green Book“ mit einer halbwegs erfrischenden Prämisse an: der Umkehrung von Rollen-, Autoritäts- und Klassenverhältnissen. Tony ist ein arbeitsloser Rausschmeißer, dem der Ruf nacheilt, gut mit „Ärger“ umgehen zu können. In den Augen von Shirley also genau der richtige Mann für eine Anstellung als Fahrer und Reiseplaner für eine sechswöchige Tournee durch den tiefsten Süden der USA. Keine ungefährliche Unternehmung in der Jim- Crow-Ära. Das titelgebende grüne Buch ist ein Handbuch, das Hotels, Raststätten und Restaurants auflistet, die Schwarze überhaupt bedienen.
Der Film stellt Tony als einen etwas beschränkten, aber streetsmarten und gutmütigen Typen vor – und als Rassisten. Natürlich keiner von der waschechten, glühenden Sorte; er weiß es schlicht nicht besser. Anders gesagt: Er ist der Bauer, der nicht frisst, was er nicht kennt. Und so steckt das Drehbuch diesen bodenständigen Working-Class-Amerikaner, der in seinen eigenen vier Wänden die Gläser in den Müll schmeißt, aus denen zuvor die schwarzen Handwerker getrunken haben, zusammen mit Dr. Don Shirley in einen türkisfarbenen Cadillac. „The Negro Motorist Green Book“ gibt ihre Route vor.
Mit dem feierlichen Stolz eines liberalen Gewissens
Farrelly, die eine Hälfte des Regie- Duos Peter und Bobby Farrelly („Dumm und Dümmer“, „Verrückt nach Mary“) arbeitet mit typischen Motiven des Roadmovies, einschließlich Elementen von Bildungsroman und „Buddy-Komödie“. In strategischer Umkehrung erfüllt der Weiße sämtliche Klischees eines Italo- Amerikaners: Er ist ungehobelt, quasselig und in seiner etwas deftigen Impulsivität „ursprünglich“. Sein schwarzer Arbeitgeber gibt sich dagegen stets kontrolliert, kultiviert und hochnäsig: Das Vorstellungsgespräch mit Tony führt er auf einem Thron sitzend in seinem geräumigen Apartment direkt über der New Yorker Carnegie Hall. Das komödiantische Potenzial entfaltet sich vor allem aus der Reibung von verfeinert und grobschrötig. Dass man darüber gelegentlich die Probleme des Drehbuchs vergisst, liegt allerdings weniger an den verzwirbelten Dialogen, deren Witz durch die Kollision miteinander unvereinbarer Sprachregister entsteht, als an Alis und Mortensens punktgenauem Spiel. Es sitzt bis ins kleinste Detail.
Im Kern ist „Green Book“ die Geschichte einer wechselseitigen Re-Education. Der einsame, unter einer Identitätskrise leidende Musiker – von den Weißen diskriminiert und gleichzeitig nicht „schwarz“ genug – beginnt sich zu öffnen: auch für den Jazz und Chubby Checker, die schwarze Musik der einfachen Leute. Für Tony gestaltet sich der Trip wiederum als erfolgreiches Antirassismusprogramm. Von den alltäglichen Schikanen wie Polizeiwillkür und der Abweisung in Geschäften abgesehen, schlägt Don Shirley auch von den Weißen, die ihn als Künstler hofieren, offener Rassismus entgegen. Einmal ist die Garderobe in der Besenkammer untergebracht, ein anderes Mal schickt man ihn aufs Plumpsklo. „Wie hält er das nur aus?“, fragt sich da Tony.
„Green Book“ schildert das alles durchaus feinfühlig und im Impetus einer aufrichtigen Rassismuskritik. Aber eben auch mit dem feierlichen Stolz eines liberalen Gewissens. In politisch aufgepeitschten Zeiten mag der Wunsch nach einem Weihnachtsmärchen (am Ende sogar buchstäblich) nachvollziehbar sein. Die Kontinuität dieser so falschen Hollywood-Erzählung aber deprimiert.
ab Donnerstag in den Kinos
Esther Buss