zum Hauptinhalt
Das Museum für Islamische Kunst in Doha, Katar.
© dpa

Kultur in Katar: Zensur gehört dazu

Neuerfindung einer Nation: Wie der kleine und sehr reiche Wüstenstaat Katar in Kunst und Kultur investiert.

Als Anfang Mai das teuerste Gemälde aller Zeiten ersteigert wurde, da konnten es selbst die hartgesottensten Snobs kaum fassen: 180 Millionen Dollar für einen ganz gewöhnlichen Picasso! Auch der Käufer wusste, dass dieser Preis maßlos überhöht war. Zugegriffen hat er dennoch, schon um seine Mitbieterin zu übertrumpfen. Beide kamen aus Katar. Die herrische Nachfrage aus den Golfstaaten hat dem Kunstmarkt eine schwindelerregende Dynamik beschert. Sehr zur Freude der Auktionshäuser, sehr zum Leidwesen der europäischen Sammler und Museen, die bei solchen Preisen kapitulieren müssen. Gehässige Seitenblicke streifen die neureiche Konkurrenz: Waren nicht deren Großväter noch Kameltreiber? Die Diskussion erinnert etwas an den Aderlass der dreißiger Jahre, als europäische Malerei zuhauf nach Amerika ging, dessen Kunstbanausen "unsere" Meisterwerke doch gar nicht verdienten.

Eine Medici des 21. Jahrhunderts: Scheicha Al Mayassa

Wer sind diese Kataris, die sich die Fußballweltmeisterschaft 2022 ins Land geholt haben, die Wanderarbeiter wie Sklaven halten? Was verstehen sie von Kultur? Eine ganze Menge, wenn es um Leitfiguren wie Scheicha Al Mayassa geht, die Chefin der staatlichen Museen. 2013 wurde sie von der Art Review gar zur weltweit einflussreichsten Persönlichkeit des Kunstbetriebs gekürt. Eine Medici des 21. Jahrhunderts. Eine Milliarde Dollar sollen ihr jährlich für Ankäufe zur Verfügung stehen. Der Schwerpunkt liegt auf zeitgenössischer Kunst, die demnächst im neuen Nationalmuseum gezeigt wird. Jean Nouvel hat ihm die Gestalt einer Sandrose gegeben. Vor der Hafeneinfahrt nebenan erhebt sich das Museum für Islamische Kunst als zivilisatorisches Leuchtfeuer, aufgetürmt von Ieoh Ming Pei. Rem Koolhaas entwarf die Nationalbibliothek nach einem origamiartig gefalteten Papiermodell. Metaphorische Architektur, berühmte Baumeister, erstklassige Ausstattung - nach diesem Schema legt sich Katar derzeit eine breit gefächerte kulturelle Infrastruktur zu, mitsamt Opernhaus, Amphitheater, Buchmesse, Filminstitut und Künstlerateliers. Zudem eröffnen etliche westliche Universitäten Dependancen. Aber kann man einem Land geistiges Leben verordnen? Da die Einheimischen nur fünfzehn Prozent der gut zwei Millionen Bewohner stellen, wird Kultur ganz überwiegend von Gastarbeitern für Gastarbeiter dargeboten. Dennoch ist unübersehbar, dass hier eine pädagogische Großoffensive läuft. Nicht von ungefähr sind dabei viele Schaltstellen mit Frauen besetzt. Scheicha Musa etwa, Mutter des jetzigen Emirs, steht der halbstaatlichen Qatar Foundation vor, die im großen Stil Bildungs- und Entwicklungsarbeit leistet. Die wiederum Frauen besonders zugute kommt, da diese nur selten Gelegenheit erhalten, ins Ausland zu gehen.

Allein ihr Konterfei in Zeitungen und Fernsehen sorgte für Unruhe

Auch Ameera Al Aji hätte gerne an einer europäischen Kunstakademie studiert. Aber das war für Mädchen damals noch undenkbar. Sie hat trotzdem ihren Weg gemacht und jetzt mit Anfang dreißig ihre zweite große Einzelausstellung absolviert. Al Aji arbeitet ausschließlich abstrakt. Jedoch nicht, um Konflikten aus dem Weg zu gehen - ihre Gemälde, Installationen und Animationen bringen eben diese Konflikte zum Ausdruck. Das Dreieck als bevorzugte Figur verweist auf den weiblichen Archetypus ebenso wie auf die Webmuster der Beduinen. Immer wieder tanzen einzelne Elemente aus der Reihe und gruppieren sich neu. Titel wie „Differenzen“, „Wandel“, „Übergänge“ postulieren Selbstfindung und Raumgewinn. „Würde ich rein dekorativ arbeiten, könnte ich gut an Hotels und Privatleute verkaufen. Aber konzeptuelle Kunst ist hier fremd.“ Allein dass ihr Konterfei in der Zeitung erschien und der Fernsehsender Al Jazeera sie porträtierte, hat für Unruhe gesorgt. Doch konservativen Vorbehalten begegnet sie souverän: „Meine Kunst leistet einen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft.“ Auch berühmte Künstler sind nicht vor Anfechtungen gefeit. Damien Hirst schuf vierzehn Großplastiken für eine Frauenklinik in Doha, welche die Stationen werdenden Lebens von der Befruchtung bis zur Geburt feiern. Die monumentalen Föten wurden mit großem Brimborium enthüllt und wenig später wieder verhüllt. Doch auch in jedem westlichen Land hätten sie wohl öffentliches Ärgernis erregt.

Angezogene, alt-griechische Olympia-Statuen.

Scheicha Al Mayassa ist Direktorin der staatlichen Museen in Katar und eine der einflussreichsten ihrer Art.
Scheicha Al Mayassa ist Direktorin der staatlichen Museen in Katar und eine der einflussreichsten ihrer Art.
© Abaca Rabbo/dpa

Vielen islamischen Rechtsgelehrten gilt schon die bildliche Darstellung eines Menschen als anstößig, Nacktheit wird vollends als Frevel angesehen. Als eine Olympia-Ausstellung antike Statuen präsentierte, wurde ernsthaft erwogen, diese zu bekleiden. Und ein Tangoabend der argentinischen Botschaft geriet beinahe zum Eklat. Die Kataris sind Wahhabiten, Puritaner strenger Provenienz also. So dynamisch die Reformkräfte auch auftreten, so mächtig sind doch die Gegenkräfte. Die kosmopolitische Geschäftigkeit von Doha täuscht leicht über die Widersprüche, ja Schizophrenien hinweg, denen die Gesellschaft beim Sprung in die Zukunft unterworfen ist. Kickstart mit angezogener Handbremse.

Von bitterer Armut zu groteskem Reichtum

Ein kleines Volk hat das große Los gezogen, ist binnen zweier Generationen aus bitterer Armut zu groteskem Reichtum gelangt. Fast aus dem Nichts ist eine synthetische Stadt emporgeschossen, ein höchst reales Scheingebilde. Superlative sind die Norm; kühn wäre hier einzig Bescheidenheit. Das hochwertige Kulturan gebot soll das Volk erheben und zerstreuen, es soll Doha für ausländische Fachkräfte und Touristen attraktiver machen, und es soll der jungen Nation internationalen< Beifall bringen. Die Suche nach dem ursprünglichen Selbst nimmt manchmal komische Züge an. Obsessiv gräbt man nach Wurzeln, und seien sie noch so rudimentär. Arend Küster spricht vom „Zurückerfinden einer Kultur“. Als Verlagsleiter bei Bloomsbury in Doha ist er angetreten, „durch die Literatur ein anderes Narrativ der Golfregion zu befördern, über die wir viel zu wenig wissen“. Auf die Frage nach der Freiheit der Kunst antwortet er: „Es gibt keine arabische Literatur ohne Zensur. Aber wir können hier trotzdem viel erreichen.“ Während man sich im wissenschaftlichen Bereich, bei Ratgebern und Kinderbüchern an internationalen Standards orientiert, werden die Medien bei Politik und Religion allesamt an die Kandare genommen. Ein Literaturstudent musste für fünfzehn Jahre ins Gefängnis, nur weil er mit dem arabischen Frühling sympathisierte. Und der einstige Vorzeigesender Al Jazeera hielt auf Geheiß von oben zu den Muslimbrüdern, bis es sogar den anderen Golfstaaten zu weit ging.

Mystik und Moderne

Das Nebeneinander fortschrittlicher und rückwärtsgerichteter Kräfte bestimmt das Bild. Nicht selten findet man sie in scheinbar einträchtiger Nachbarschaft, so auch auf dem Campus der Qatar Foundation, auf dem riesige Lettern an die Studenten appellieren: Denke … entdecke … vollbringe … Mittendrin erhebt sich die Fakultät für Islamische Studien, mit einer höhlenartigen Moschee, in der Mystik und Moderne auf spektakuläre Weise verschmelzen. Geleitet von einer Dekanin, lehrt die Hochschule islamische Theologie, islamisches Recht und Finanzwesen. Sie gilt als Kaderschmiede; im Studenten-Parkhaus steht kaum ein Fahrzeug unter 200 PS. Daneben wächst die Nationalbibliothek, ein Hort des Wissens und der Aufklärung. Ihr steht Claudia Lux vor, langjährige Direktorin der Berliner Zentral- und Landesbibliothek. Sie sprüht vor Begeisterung, die „ebenso spannende wie gespannte Entwicklung mitgestalten zu können. Unser Auftrag ist es, die Bevölkerung beim eigenständigen Denken und Handeln zu unterstützen.“ Das Herzstück bilden wertvolle Bücher und Folianten, die mehrere Scheichs über Jahrzehnte gesammelt haben und die in einer bibliophilen Schatzkammer besichtigt werden können. Wenngleich es im ganzen Land keine richtige Buchhandlung gibt – Lux bekräftigt, „dass sehr intensiv gelesen wird, besonders von Frauen.“. Auch wenn das Haus erst Ende 2016 eröffnen wird, die digitale Nutzung läuft bereits auf Hochtouren, und die Lesezirkel der Bibliothekare sind gefragt, obwohl noch keine eigenen Räume zur Verfügung stehen.

Musik ist weltliche Zerstreuung und Sünde

Der Mangel an geeigneten Spielstätten hat auch Katrin Meingast dazu bewogen, zu Hause einen Salon zu führen. Die Cellistin hat in Doha ein Barockensemble aufgebaut. Eine keineswegs verwegene Idee, stand diese Epoche doch sowohl von den Instrumenten wie von der Spielweise her der arabischen Musik näher als spätere. Meingast hat sogar schon Händels Messias nach Doha gebracht. Ihr schärfster Widersacher war dabei nicht etwa ein Imam, sondern der anglikanische Pfarrer, der seine Kirche nicht entweihen lassen wollte. Auch Islamische Fundamentalisten lehnen Musik als weltliche Zerstreuung ab; an manchen Schulen wird sie gar nicht erst unterrichtet. Gleichwohl leistet Katar sich ein Philharmonisches Orchester. Deutsche Musiker stellen dort die stärkste Fraktion; viele weitere haben in Deutschland studiert, vom malaysischen Schlagzeuger über den kuwaitischen Kontrabassisten bis zu den usbekischen Zwillingsschwestern, die beide beim anonymen Probegeigen reüssierten. Das Orchester tritt im Opernhaus und im hypermodernen Kongresszentrum auf, aber auch im Soukh. Letzten Sommer gastierte es zwischen den Berliner Philharmonikern und dem Cleveland Orchestra bei den Londoner Proms. Die Konzerte in Katar sind meist ausverkauft, so auch das letzte der Saison mit Beethovens 5. und 6. Sinfonie. Draußen herrschen noch immer gebieterische vierzig Grad. Die Musik aber entführt in ein wohltemperiertes Arkadien. Die Hörner schmettern, die Bässe rumoren, die Flöte tiriliert. Heimatklänge in der Wüste.

Stefan Schomann

Zur Startseite