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Night and Day
© ddp

Koreanisches Kino: Zehen zeigen

Ein Koreaner in Paris: Hong Sangsoos "Night and Day“ konkurriert um den Goldenen Bären.

Ein Gebot lautet: Du sollst dich nicht mit Drogen erwischen lassen! Schon gar nicht in Korea. Auch Sungnam kannte es, und nun steht er doch in dieser wildfremden Stadt, am anderen Ende der Welt, allein mit zwei Koffern. Nur wegen dieses Gelegenheitsjoints in lauter Gelegenheitstrunkenheit auf dieser Gelegenheitsparty.

Aber was heißt hier: wildfremde Stadt? Paris war einmal die Welthauptstadt der Maler, und Sungnam ist ein Maler, ein in seiner Heimat höchst anerkannter. Behauptet der Film. Aber auffällig ist es schon, dass sich Sungnam während dieser ganzen 145 Minuten – unter zwei Stunden fängt ein Wettbewerbsfilm, der etwas auf sich hält, in diesem Jahr gar nicht erst an – nicht ein einziges Mal mit einem Pinsel in der Hand erwischen lässt. Nicht einmal mit einem Bleistift. Anderen Regisseuren hätten wir das kaum verziehen. Doch Hong Sangsoo, der 1996 weltweit auffiel mit seinem Debüt „Der Tag, an dem das Schwein in den Brunnen fiel“, gibt uns zum Verständnis seines Films sowie des Kinos überhaupt den schönen Satz „Alles ist, was es scheint“ mit auf den Weg.

Ein Maler, der malt. Ein bisschen vordergründig wäre das schon gewesen. Und wie dieser Sungnam aussieht. Wie grob gezimmert, mit der Mimik und Gestik einer Schrankwand: Kim Youngho. Der nichtmalende Maler streunt durch seine Pariser Leer-Tage, und jeder, der seinen Weg kreuzt, muss zuerst eine Runde Armdrücken bestehen. Kommentar des Künstlers: „Zum Malen braucht man viel Kraft!“ Wie gesagt, bei anderen würde das ärgern.

Aber „Bam gua Nat“ („Night and Day“) ist in der schönsten Tradition des asiatischen Kinos frei von jeder Attitüde, Überanstrengung und Originalitätssucht. Selbst dann noch, wenn sich der malabstinente Maler in den großen Zeh eines schlafenden Mädchens verliebt, während er mit einem anderen Austern isst. Dabei geht es genauso zu wie im Sprichwort: Wer seinem Nächsten den großen Zeh reicht, hat schon den ganzen Fuß verloren. Kann man sich zugleich nach seiner Frau sehnen, mit einer anderen schlafen, mit einer dritten Austern essen und einem Zeh-Mädchen verfallen?

Der Mann hat ja sonst nichts zu tun. Jedes Werk lenkt nur ab vom Leben. Hong Sangsoo erzählt das Nichtalltägliche aus lauter Alltäglichkeit, fast ohne Betonung, voller kleinster Hinweise und Leerstellen. „Bam gua Nat“ ist in mancher Hinsicht das Gegenstück zu Doris Dörries „Kirschblüten“, dabei tanzt auch hier ein Mann in einer öffentlichen Parkanlage am anderen Ende der Welt einen Selbstfindungs-Schattentanz.

Das Höchstmaß an Pathos erreicht Sangsoo mit einem Blick in den Rinnstein, wenn nachfließendes Wasser die Abfälle des Tages wegspült. Es wird schwer sein, künftig einen Rinnstein zu sehen, ohne an „Bam gua Nat“ zu denken. Was für ein Neubeginn! Was für ein Risiko auch: einfach weggespült zu werden in dieser Stadt, in der nicht nur die Rinnsteine fremd sind.

Aber Museen sind Heimat, überall auf der Welt. Die Courbets möchte Sungnam sehen, sonst eigentlich nichts. Also stellt uns der Regisseur mit dem Malabstinenzler vor Courbets „Ursprung der Welt“, den Blick geradewegs zwischen die geöffneten Schenkel einer Frau. Ursprung. Urschoß. Erst spät begreift – also sieht – man, dass dieses Schoßporträt wie das Gegenstück zu Sungnams Bildern ist. Da wird er schon wieder zu Hause sein, unter seinem großen Wolkenbild liegen, zurückgerufen und vor sich selbst gerettet durch die Lüge seiner Frau. Und wird einen Machotraum träumen, aus Zeiten, in denen das Leben der Männer noch einfach war. Er, der Verräter des Zeh-Mädchens, ein zweitklassiger Himmelmaler, ein Wolkenporträtist. Himmel und Erde. Wahrheit und Lüge. Und alles in einem.

Heute 12 Uhr und 15 Uhr (Urania), 22.30 Uhr (International), 17.2., 15 Uhr (Urania)

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