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Der RIAS-Kammerchor in seiner ganzen Vielfalt.
© Matthias Heyde

RIAS-Kammerchor: Zauber und Trübung

Ein Werk mit Seltenheitswert: Der RIAS Kammerchor widmete sein erstes Abonnementkonzert im Kammermusiksaal der hochbegabten Komponistin Lili Boulanger.

Als die Komponistin Lili Boulanger 1918 im Alter von 24 Jahren starb, war sie eine internationale Berühmtheit. Als erste Frau in der Geschichte des Prix de Rome war sie 1912 für ihre Kantate „Faust et Hélène“ als Siegerin ausgezeichnet worden. Ihre sechs Jahre ältere Schwester, die große Komponistenpädagogin Nadia Boulanger, die die Jüngere um 61 Jahre überlebte, hatte wenige Jahre zuvor nur den zweiten Platz belegt. Ohne ihre rührende Sorge um Erbe und Nachlass der Schwester, würde man sich an Lili Boulangers Musik wohl kaum noch erinnern. Aber auch so hat es Seltenheitswert, ihre Werke im Konzertsaal zu erleben. Der RIAS Kammerchor widmete nun sein erstes Abonnementkonzert dieser hochbegabten Komponistin.

Leider ist der Kammermusiksaal nur zur Hälfte gefüllt. Dafür feiern die Anwesenden die Aufführung mit dankbarer Neugier. Boulangers Musik ist stilistisch kaum zu fassen, changiert zwischen den Resten der Spätromantik, impressionistischen Experimenten und einer sich langsam auflösenden Tonalität. Was die vom RIAS Kammerchor aufgeführten Werke eint, ist die Anreicherung ihrer schwebend-flirrenden, symbolistisch aufgeladenen Naturporträts mit Ausbrüchen lautmalerisch-expressionistischen Aussagewillens. Sie wiederum werden gebrochen von einer gewissen Naivität in der Behandlung des begleitenden Klavierparts.

Die Leidenschaft des freundlich agitierenden Stuttgarter Chordirigierprofessors Michael Alber für diese von Schönberg, Ligeti und Hindemith geschickt gespiegelten Werke überträgt sich nicht wirklich auf den Chor. Der hat zuweilen zauberhafte Momente, aber insgesamt doch zu wenig Erfahrung mit der schwelgerischen Musik dieses Zeitalters. Zudem genügt er den hohen Ansprüchen an die Homogenität eines Profiensembles zwar weitgehend im Gesamtklang, aber nicht durchweg in den einzelnen Stimmgruppen. Die aus dem Chor besetzten Soli sind von durchaus unterschiedlicher Qualität, gerade in den Höhen eignet den Sopranen eine gewisse Schärfe, und bei den Tenören hört man deutlich einzelne Stimmen heraus. Schade, dass diese Klangtrübung das Eintauchen in eine chormusikalisch hochinteressante Epoche beeinträchtigt. Interessant bleibt Lili Boulanger damit allemal – dafür gebührt dem Chor Respekt.

Christian Schmidt

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