zum Hauptinhalt

Kultur: "You can count on Me": Billard mit acht

Wenn Sammy (Laura Linney) das Grab ihrer Eltern besucht, bringt sie Blumen mit, kniet sich hin und faltet die Hände wie ein artiges Mädchen vorm Schlafengehen. Ihr Bruder Terry (Mark Ruffalo), wenn er mal auftaucht aus Florida oder Alaska oder wo er sich sonst herumtreibt, haut sich auf dem Friedhof ins Gras, lehnt sich an den Grabstein und raucht eine Selbstgedrehte.

Wenn Sammy (Laura Linney) das Grab ihrer Eltern besucht, bringt sie Blumen mit, kniet sich hin und faltet die Hände wie ein artiges Mädchen vorm Schlafengehen. Ihr Bruder Terry (Mark Ruffalo), wenn er mal auftaucht aus Florida oder Alaska oder wo er sich sonst herumtreibt, haut sich auf dem Friedhof ins Gras, lehnt sich an den Grabstein und raucht eine Selbstgedrehte.

Sammy und Terry sind sich so nah und so fern, wie Geschwister nur sein können. "Du bist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt", sagt sie. Und obwohl er so etwas nie sagen würde, gilt das umgekehrt genau so. Sammy wohnt in ihrem Elternhaus, arbeitet bei der Bank, geht sonntags in die Kirche und kümmert sich um ihren achtjährigen Sohn Rudy (Rory Culkin, nicht weniger talentiert als sein Bruder Macaulay). Terry ist ständig abgebrannt, hält es nie lange an einem Ort aus und scheut jede Verantwortung. Am Anfang steigt er unrasiert und mit angeranzten Klamotten aus dem Bus. Am Ende wird er wieder einsteigen - für den Moment etwas besser beieinander, etwas optimistischer, aber immer noch der alte Herumtreiber.

Mutterseelenallein

"You can count on Me" ist eine Geschichte von den ewigen Abschieden, aus denen das moderne Familienleben besteht. Und vom Wiedersehen, das nie lange dauert, weil das Zusammensein erst recht keiner aushält. Sammys und Terrys Schwierigkeiten, im Leben Halt zu finden, führt Kenneth Lonergan (Buch und Regie) zwar auf den eingangs wunderbar sparsam erzählten frühen Tod der Eltern zurück. Doch das Gefühl der Verlorenheit kennt jeder, der seit den sechziger Jahren Kind war und den Zerfall der festgefügten Gesellschaftsstrukturen miterlebt hat.

Sammy führt, so gut sie kann, ein ehrbares Kleinstadtleben, aber manchmal fühlt sie sich trotzdem mutterseelenallein. Der Vater ihres Sohnes kommt als Tröster nicht in Frage. Der nette, sturzlangweilige Bob (Jon Tenney) würde sie vom Fleck weg heiraten, aber letztendlich ist bei ihm nicht mehr Geborgenheit zu holen als bei ihrem verheirateten Chef (Matthew Broderick), mit dem sie sich gelegentlich in einem Motelzimmer trifft. Und am schlimmsten ist ihr verdammter Bruder, wenn er sich wieder aufführt wie der letzte Egoist.

Je mehr Sammy sich als Mutter aufspielt, desto mehr entzieht Terry sich - das ist das alte Lied zwischen Männern und Frauen. An schlechten Tagen muffelt er herum oder löst Katastrophen aus, für die man ihn kalt machen möchte. Aber wenn er gut drauf ist, will man ihn am liebsten festbinden, damit er nie mehr verschwindet. Abhauen wird er so oder so wieder. So ist das heute unter Geschwistern, Freunden, Eltern und manchmal auch unter Liebespaaren: Den Alltag muss jeder alleine hinkriegen. Was bleibt, ist immerhin die Gewissheit, dass irgendwo auf der Welt jemand ist, auf dessen Liebe man zählen kann - wenn auch nicht auf seine Anwesenheit.

Der New Yorker Theatermann Lonergan ist bisher international als Drehbuchautor von "Reine Nervensache" (1998, mit Billy Crystal und Robert de Niro) in Erscheinung getreten. Bei seinem Debüt als Filmregisseur hatte er die Unterstützung von Martin Scorsese als ausführendem Produzenten, ein mehrfach preisgekröntes Drehbuch und ein hervorragendes Ensemble.

Alles über Mama

"You can count on Me" ist witzig, rührend und sehr nah am Leben. Julia Roberts (die dieses Jahr den Oscar für die beste Hauptdarstellerin bekam, für den auch Laura Linney nominiert war) sieht als Erin Brockovitch noch adrett aus, wenn ihr der Alltag als alleinerziehende Mutter schon über dem Kopf zusammenschlägt. Wie Laura Linney als Sammy sich durchs Leben schlägt, erinnert dagegen mehr an Figuren aus englischen Filmen als an weichgespülte Hollywoodschönheit.

Der Film gewinnt enorm an Tiefe durch den achtjährigen Rudy, der mit dieser verunsicherten Elterngeneration zurechtkommen muss. Terry ist der erste Mann in seinem Leben. Wie er ihn zum Billard in die Kneipe mitnimmt und hinterher prustend das gemeinsame Geheimnis vor Sammy verschweigt, wird Rudy mit Sicherheit nie mehr vergessen - und auch nicht, wie er ihn immer wieder im Stich lässt, um dann irgendwann doch noch aufzukreuzen, ohne Erklärung, aber unwiderstehlich charmant. Man wünscht Rudys Generation von ganzem Herzen, dass sie festeren Boden unter den Füßen bekommen wird. Aber seinen Kopf möchte man nicht drauf verwetten.

Zur Startseite