Nudeln, Selfies, bemalte Schuhe: „Yayoi Kusama hat etwas Bezauberndes“
Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Baus, über ihren Besuch bei der japanischen Künstlerin – und warum junge Menschen begeistert sind von ihrem Werk.
Frau Rosenthal, was veranlasste Sie, Yayoi Kusama nach Berlin zu holen?
Ich wollte akademisch etwas Neues herausfinden und zugleich eine Ausstellung für ein breites Publikum machen. Beides geht selten zusammen, bei Kusama schon. Außerdem war sie in Deutschland noch nie umfangreicher zu sehen. Im Moment möchte sie jeder zeigen, aber als wir anfragten, war sie sofort begeistert von der Idee, ihre Arbeiten im Gropius Bau zu zeigen.
Wie passt Kusama ins Konzept vom Gropius Bau?
Als ich 2018 die Leitung des Hauses übernahm, haben wir erst einmal ein gezielt anderes Programm gemacht, um in eine neue Richtung zu weisen. Seit 2020 stellen wir uns wieder breiter auf. Kusama ist zugleich progressiv und populär. Sie war als Künstlerin eine Vorreiterin – eine Japanerin in New York, die sich durchsetzte, dann nach Europa ging und auch dort an Einfluss gewann. In den 1960ern war das für eine Frau wirklich selten.
Inwiefern ist Kusama heute noch relevant?
Zunächst interessierten mich am meisten ihre radikalen Performances. Aber umso mehr ich mich mit ihr beschäftigte, umso mehr faszinierten mich ihre frühen Zeichnungen und Gemälde, die unter die Haut gehen. Kusama blickt auf die Welt von einem ganz anderen Standpunkt aus, einer sehr sinnlichen Ebene.
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Sie erschafft ein völlig neues Universum, in dessen Zentrum sie selbst steht: eine immersive Welt. Das macht sie für junge Menschen relevant. Mit ihr betritt man einen anderen Raum. Ihr All-over wird dabei fast zur Überforderung, allerdings eher für mich und meine Generation als für die Jüngeren. Die Idee von Selfie oder Social-Media – das hat sie längst praktiziert.
Wie war die Zusammenarbeit mit Kusama, deren Studio sich eigentlich um alles kümmert?
Ich habe mit ihr selbst zu Beginn die grobe Idee besprochen, die Rekonstruktion ihrer acht Ausstellungen. Aber sie war noch mehr daran interessiert, dass ihre neuen Gemälde gut zur Geltung kommen. Das ist typisch für viele Künstler:innen, für die immer die aktuelle Produktion von größter Bedeutung ist. Kusama freut sich vor allem, dass viele Menschen ihre Arbeiten sehen können, denn sie glaubt an die heilende Kraft der Kunst.
Wie haben Sie die Künstlerin persönlich erlebt?
Mich hat die Begegnung mit ihr in der Psychiatrie, in der sie seit vielen Jahren lebt, sehr berührt. Als ich in ihr Zimmer kam, riss sie die Arme hoch und rief freudig „Berlin, Berlin!“. Da wirkte sie ganz anders als auf den Fotos, in denen sie sich immer inszeniert: auf einmal nahbar und fragil. Sie hat uns jetzt einen Brief geschrieben, in dem sie uns dankt für unsere Bemühungen, das hat uns gerührt.
Sie rekonstruieren insgesamt acht Ausstellungen der Jahre 1952 bis 1983. Warum dieser Aufwand?
Einerseits ist dies meine spezielle kuratorische Methode, ich habe immer sehr stark aus den Archiven heraus gearbeitet, um die Herangehensweise einer Künstler:in zu verstehen. Andererseits wollte ich wissen: Wie genau hat Kusama ihre Accumulations präsentiert? Ist sie nun eine Minimalistin oder nicht? Dabei zeigte sich, dass ihre Installationen eigentlich immer ziemlich unaufgeräumt waren. Das wirkte zutiefst menschlich: Die Punkte waren von Hand gemalt, auf dem Boden lagen Nudeln, sogar die Schuhe waren bemalt. Man spürt sofort den performativen Ansatz. Dieses Gefühl sollten auch die Besucher:innen vermittelt bekommen.
Kusama gilt als bedeutendste japanische Künstlerin, nur hierzulande ist sie kaum bekannt. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen Künstler:innen der 60er, 70er Jahre, von denen zum Glück gerade viele wiederentdeckt werden. Wer hätte das noch verdient?
Auf alle Fälle die Brasilianerin Lygia Clark, die durch ihren frühen Tod nie die angemessene Aufmerksamkeit erfuhr. Während Kusama seit den 1990er Jahren auf dem Kunstmarkt wieder präsent ist, steht das bei Clark noch aus. Für mich als Kuratorin ist es spannender Positionen vorzustellen, die weniger bekannt sind – nicht noch eine weitere Andy Warhol-, Frank Stella- oder Roy Lichtenstein-Ausstellung.
Kusama fasziniert noch immer durch ihre Radikalität. Gibt es heute vergleichbare Künstlerinnen, die sich ähnlich als Kunstfigur inszenieren?
Auch bei Takashi Murakami gibt es diesen Pop-Aspekt und auch ansatzweise die Form des All-overs. Aber Kusama hat etwas Bezauberndes, wie es bei der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist zu finden ist. Kusamas Punkte sind mit einem Sternenhimmel vergleichbar, das passt zu Pipilotti Rist.
Empfinden Sie Kusamas Kunstsprache als spezifisch weiblich?
Typisch weiblich ist ihre Biographie: dass sie in Vergessenheit geriet. Aber sie war tough, eine richtige Geschäftsfrau, die eine Transportfirma und ein eigenes Modelabel gründete. Nur wurde keine Erfolgsgeschichte daraus.
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