Das Album von Lindemann: Wummern nach Nummern
Gruselrock und Schweinkram: Rammstein-Sänger Till Lindemann veröffentlicht mit "Skills In Pills" sein erstes Album auf Englisch.
Sex geht natürlich immer. Wer in seinen Songtexten und Videos drastisch genug zu Werke geht, kann auf werbewirksame Skandälchen, Warnsticker oder sogar Indizierungen hoffen. Sänger und Dichter Till Lindemann ist da Experte. Mit seinen Rammstein-Kollegen hat er mal ein sehr realistisches Video im Puff gedreht. Zudem stammen einige der eindrücklichsten in deutscher Sprache verfassten SadoMaso-Songtexte von ihm. In dem programmatisch „Ich tu dir weh“ betitelten Stück der Berliner Band heißt es etwa: „Bisse, Tritte, harte Schläge/ Nadel, Zangen, stumpfe Säge/ Wünsch’ dir was, ich sag nicht nein/ Und führ’ dir Nagetiere ein“. Auch beim Rammstein-Klassiker „Bück dich“ ist schon im Titel klar, worauf die Sache hinausläuft. Auf der Bühne schubbert Lindemann dazu gerne am Hintern von Keyboarder Flake Lorenz herum und holt einen großen wasserspritzenden Gummi-Dödel heraus.
Sex mit einer Transe und Pissspielchen mit einer Frau
Dieses Requisit kann er jetzt prima für die Live-Umsetzung seiner neuesten Lach- und Sachgeschichten wiederverwenden, die er auf dem am Freitag erscheinenden Album „Skills In Pills“ versammelt hat. Diesmal im Angebot: Sex mit einer Transe, Sex mit einer übergewichtigen Frau sowie Natursekt-Spielchen, bei denen sich das lyrische Ich auf dem Boden liegend von einer Frau anpinkeln lässt. Vieles ist richtig eklig, dafür verzichtet der Sänger bei diesem Nebenprojekt unter dem Namen Lindemann auf Gewaltfantasien. Denn was der Rammstein- Sänger hier zusammen mit dem schwedischen Multiinstrumentalisten und Produzenten Peter Tägtgren vorführt, ist eine geschickte Variation auf den Sound und die Strategien seiner Hauptband. Mit einem entscheidenden Unterschied: Lindemann singt erstmals auf Englisch. Das typische teutonische Grollen seines Baritons – Hauptattraktion des Exportschlagers Rammstein – fällt weg. Trotzdem erkennt man Lindemann sofort, der sich um eine möglichst geringe Akzenteinfärbung seines Gesangs bemüht und wacker mit dem „th“ kämpft.
Die Texte sind wie bei Rammstein schlicht, drastisch und von einem speziellen Humor beseelt. Wobei das Englisch mitunter ins Holpern gerät. So ist schon der Albumtitel trotz des Reims etwas krumm geraten und sein Sinn erschließt sich erst, wenn man den gleichnamigen Eröffnungssong hört, in dem Lindemann verschiedenfarbige Pillen aufzählt. Gegen Depressionen, zum Aufputschen, als Erektionshilfe, Ecstasy ist auch dabei. Für jede Situation gibt es etwas. Selbstoptimierung in Tablettenform – „Skills in Pills“ eben. Dazu röhren die verzerrten E-Gitarren, das Schlagzeug bumm-tschakt den stumpfen Rhythmus, hinten wimmern die Synthies.
Für den zwischen Gothic- und Hardrock angesiedelten Sound der Platte, den „Die Zeit“ trefflich als „Kirmes-Metal“ bezeichnet hat, ist Peter Tägtgren verantwortlich. Black-Metal-Fans kennen den 45-Jährigen als Frontmann der Bands Pain und Hypocrisy, außerdem arbeitete er für zahlreiche Gruppen der Szene als Produzent. Mit Till Lindemann ist er seit Langem befreundet, vor zwei Jahren entstand das erste gemeinsame Lied, über mehrere Monate kamen die restlichen zehn Stücke der Platte hinzu, die die beiden in Tägtgrens Studio bei Stockholm aufnahmen. Abgesehen von den Streicherarrangements stammt die Musik komplett von Tägtgren.
Der Sound ist bollerig und aseptisch
„Skills In Pills“ wummert gewaltig, ohne dabei sonderlich gefährlich zu wirken. Das Duo hält sich mit breitbeinigem Riff-Geschrubbe, gesetzten Laut-Leise-Dynamiken und mittleren Tempi immer schön auf der Fahrbahnmitte. Manchmal gibt es Spielereien wie ein Kirchenorgel-Intro oder eine poppige Coda, insgesamt klingt das Album jedoch ziemlich aseptisch, als sei jede Spur fünf Mal durch die Produktionssoftware Pro Tools gejagt und dabei mächtig aufgepumpt worden. Das fällt vor allem bei den etwas ruhigeren Stücken wie der Ballade „Home Sweet Home“ oder dem opulenten Bonustrack „That’s My Heart“ unangenehm auf, weil Till Lindemann hier relativ sanft singt und die Ablenkungsreize fehlen. Seine gefühlvolle, unironische Seite ist um einiges unspannender als die Elternschreck-Persona, die er bei Rammstein in den letzten 20 Jahren perfektioniert hat.
Sicher gibt es auch viele Fans seiner Düster-Romantik, manche fantasiebegabte Geister fühlen sich bei seinen Gedichten sogar an Brentano oder Eichendorff erinnert – auf hohe Einschaltquoten aber kommt der Sohn einer Ost-Berliner Kulturjournalistin und eines Kinderbuchautors nur, wenn er das gequälte Monster spielt. Wenn er die fiese Fratze zeigt, vor der sich das Publikum aus sicherer Entfernung ein bisschen gruseln kann.
Das weiß Lindemann selbst am besten, weshalb er und Tägtgren als erste Single den krassesten Song ihres Albums ausgewählt haben. In „Praise Abort“ klagt der Sänger, der seine Erzählung mit dem Satz „I like to fuck“ beginnt, dass er zu viele Kinder und zu wenig Geld hat. Im Mitgröl-Refrain barmt er: „I hate my life and I hate you/ I hate my wife and her boyfriend, too/ I hate to hate and I hate that/ I hate my life so very bad/ I hate my kids never thought/ I’d praise abort/ Praise abort“. Selbsthass, Familienhass und ein Lob der Abtreibung. Das ist selbstredend witzig gemeint und bietet dem Duo zudem Gelegenheit, im Videoclip richtig schön rumzusauen: Lindemann und Tägtgren, die beide mehrere Rollen spielen, sind unter anderem als prolliges Schweine-Ehepaar zu sehen. Lindemann spielt die Sau, Tägtgren den Eber. Er nimmt sie von hinten, und schon hängt ein neues Schweinebaby an Lindemanns Zitzen. Am Ende des binnen zwei Wochen über zwei Millionen Mal geklickten Videos befördert der ganz in Weiß gekleidete Sänger (mit Schweinemaske) seine Abendkleid tragende Sau-Inkarnation mit einem Bolzenschussgerät ins Jenseits. Postnatale Selbstabtreibung? Egal – Hauptsache Sex, Blut und Ferkeleien. Vielleicht reicht’s ja für einen Protest vom Bauernverband. Oder die katholische Kirche mag mal reinhören.
„Skills In Pills“ erscheint bei Warner Music.