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Der Aufstand. 17. Juni 1953: Demonstranten flüchten vor sowjetischen Panzern am Potsdamer Platz ( kolorisiertes Bild). Brecht fragte darauf in „Die Lösung“: „... Wäre es da/Nicht doch einfacher, die Regierung/Löste das Volk auf und /Wählte ein anderes?“.
© akg-images

Verwirrung um Tagebuchnotiz: Wollte Bertolt Brecht SED-Mitglied werden?

Eine Tagebuchnotiz des Schriftstellers Erwin Strittmatter stiftet Verwirrung. Der große Bertolt Brecht soll am 17. Juni 1953, ausgerechnet am Tag des Aufstandes in der DDR, um Aufnahme in die SED gebeten haben

„Sind Sie jetzt oder sind Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei irgendeines Landes gewesen?“, wird Bertolt Brecht am 30. Oktober 1947 vor dem Kongressausschuss für „unamerikanische Aktivitäten“ gefragt. Den Exil-Dichter, der den Nazis in die USA entkommen war, hatte der Kalte Krieg erreicht. Brecht erwidert, dass die Frage womöglich nicht rechtens sei, er sie als „Gast in diesem Land“ aber beantworten werde: „Ich war und bin kein Mitglied irgendeiner Kommunistischen Partei.“

Dabei ist es bis zu seinem Tod im August 1956 geblieben. Fast 60 Jahre später aber suggeriert eine – gestern in Kurzform auch im Tagesspiegel – gedruckte Meldung der Nachrichtenagentur DPA: „Brecht wollte am 17. Juni in die SED eintreten.“ Ausgerechnet am Tag des Aufstandes gegen die SED-Diktatur, der von den Panzern der sowjetischen Besatzer und DDR-Hüter niedergewalzt wurde.

Die Meldung wirkt so, als wollte man den Toten jetzt fragen: Wollten Sie damals (oder jemals) Mitglied einer kommunistischen Partei werden? Gleichsam ein posthumer Gesinnungstest, weil es um keinen verbrieften Antrag auf Parteimitgliedschaft geht, nur um eine angebliche Absicht.

Die Agenturmeldung und der neue Rumor stützen sich auf eine Tagebuchnotiz des vor 20 Jahren verstorbenen DDR-Schriftstellers Erwin Strittmatter. Der Berliner Aufbau Verlag hat soeben den zweiten Band von Strittmatters Diarium vorgelegt, unterm Titel „Der Zustand meiner Welt. Aus den Tagebüchern 1974 - 1994“. Darin erinnert sich Strittmatter am 22. Januar 1985, der Meister habe ihn an jenem 17. Juni „ausgeschickt, den Partei-Oberen mitzuteilen, Brechts Aufnahme in die Partei solle rasch geschehen.“ Er habe sich davon eine „Wirkung auf die ,Gegner’ im Westen versprochen, jedoch die Parteibürokraten zögerten, und als drei Tage um waren, sagte Brecht: Nun will ich nicht mehr; der Effekt ist weg.“

17. Juni am Brandenburger Tor

Der Ja-Sager, der Nein-Sager. Bertolt Brecht, 10. 2. 1898 – 14. 8. 1956.
Der Ja-Sager, der Nein-Sager. Bertolt Brecht, 10. 2. 1898 – 14. 8. 1956.
© picture-alliance/ dpa

Im nämlichen Berliner Aufbau Verlag ist vor einigen Monaten bereits Werner Hechts Studie „Brecht und die DDR. Die Mühen der Ebenen“ erschienen. Der heute 88-jährige Berliner Theaterwissenschaftler, war nach Brechts Tod von dessen Witwe Helene Weigel ans Berliner Ensemble, den Brecht-Gral, als Dramaturg engagiert worden, er ist Herausgeber der 30-bändigen Großen Berliner und Frankfurter Brecht-Ausgabe und unter anderem Verfasser der 1315 Seiten starken „Brecht-Chronik“.

Hecht hat in seinem akribischen jüngsten Buch über Brecht in der DDR auch den jetzt aufgewärmten Fall bereits beschrieben. Brecht war am 16. Juni, beunruhigt durch erste Radio-Meldungen im West-Berliner RIAS, aus seinem Sommerhaus in Buckow nach Berlin ins Berliner Ensemble (BE) zurückgekehrt. Seinen Tagesablauf am 16. und 17. Juni hatte die Vertraute Käthe Rülicke am 13. Dezember 1958 für das Brecht-Archiv auf Tonband protokolliert. Hecht spricht von einem „glaubwürdigen und relativ sachlichen“ Bericht der Regieassistentin, Dramaturgin und (wie üblich) kurzzeitigen Geliebten Brechts, allerdings sei bei ihr als engagiertem SED-Mitglied „nicht auszuschließen, dass sie bestimmte Interessen der Partei mitberücksichtigt hat.“

Laut Rülicke ist Brecht am Morgen des 17. Juni gegen 10 Uhr mit ihr und Erwin Strittmatter vom BE am Schiffbauerdamm zur Straße Unter den Linden gegangen, um sich dort in Nähe des Brandenburger Tors einen eigenen Eindruck von den Protesten und den dort schon anrollenden russischen Panzern zu verschaffen. Strittmatter, 40 Jahre alt und noch weit entfernt von seinen späteren Erfolgen als Romancier („Ole Bienenkopp“, „Der Laden“), war dabei, weil sich Brecht für den noch unbekannten Schriftsteller eingesetzt und dessen zunächst umstrittenes Stück „Katzgraben“ im Mai 1953 am BE zur Uraufführung gebracht hatte.

Rülicke erinnerte sich, Brecht habe irgendwann zu ihnen gesagt, jetzt sei „der richtige Zeitpunkt in die Partei einzutreten“. Bevor die Schüsse fielen, kehrten sie dann ins Theater zurück, wo auf einer Betriebsversammlung am Mittag über die Ereignisse diskutiert wurde. Von einer persönlichen und tatsächlichen Absicht Brechts, in die SED einzutreten, war offenbar nie die Rede, das Thema wurde nicht (mehr) erwähnt. Von keiner und keinem der unzähligen Mitarbeiter/innen, Brecht- Biografen, Kommentatoren oder gar in Brechts eigenen Briefen, Notizen, Tagebuchaufzeichnungen findet sich dazu ein Wort.

Zweifel an Tagebucheintrag

Werner Hecht haben wir jetzt zu der Strittmatter-Äußerung befragt. Er hält den Tagebucheintrag aus dem Jahr 1985 schlicht für „unsinnig“. Hecht zum Tagesspiegel: „Brecht war immer der Überzeugung, dass ein Schriftsteller unabhängig zu sein habe und keiner Partei angehören dürfe. Allerdings hat er als Provokation oft spontan Sachen gesagt, die nichts mit einer ernsthaften Willenserklärung zu tun hatten. Er sagte vor 1945 im Sinne der Solidarität auch einmal: Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, Jude zu sein!“ Im Übrigen habe Strittmatter 1985, also über 30 Jahre später, etwas „erfunden“, woran er sich 1953 und auch in seinen 1954 begonnenen Tagebüchern (im ersten Band „Nachrichten aus meinem Leben“) nie erinnert habe.

Brecht war schon am nächsten Tag nach dem erzwungenen Auftritt vor dem Ausschuss in Washington aus dem Exil nach Europa zurückgekehrt und 1950 als Antifaschist in das für ihn vermeintlich bessere Deutschland, in die DDR, zurückgekehrt. Den Aufstand 1953 empfand er als tragisch, er habe „die ganze Existenz verfremdet“, notiert er bald danach.

Tatsächlich hatte er vor dem Gang Unter den Linden frühmorgens am 17. Juni schon drei Briefe diktiert und durch Boten geschickt – jedoch nicht durch Strittmatter: Einer ging dabei an SED-Chef Walter Ulbricht, der zu Brechts Entsetzen nur mit dem letzten Absatz, einer Loyalitätsadresse an die Partei und Staatsführung, im „Neuen Deutschland“ abgedruckt wurde. Dies führte in der Bundesrepublik dann zum Ausruf des jahrelangen „Brecht-Boykotts“. Gestrichen war zuvor die Erwähnung der „revolutionären Ungeduld“ und der notwendigen „großen Aussprache mit den Massen“. Brecht lavierte und schrieb mit dialektischer List auch sein Gedicht „Die Lösung“: mit der berühmten Wendung, ob es in dem Konflikt nicht einfacher wäre „die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes“. Diese Verse wurden zu Brechts Lebzeiten und noch Jahre später in der DDR nicht gedruckt.

Peter von Becker

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