Kultur: "Wölfe fangen": Knall auf Phall - Das blutige Romandebüt von Virginie Despentes
Alles hatte ganz harmlos begonnen. Virginie Despentes war einen Monat lang zu Besuch bei ihren Eltern.
Alles hatte ganz harmlos begonnen. Virginie Despentes war einen Monat lang zu Besuch bei ihren Eltern. Weil sie dort nichts zu tun hatte, begann sie ein Buch zu schreiben. Das wollte erst niemand drucken, bis schließlich ein kleiner Verlag "Baise-moi" (Fick mich) herausbrachte. Die Kritiken waren freundlich, die Verkaufszahlen gut. Alles blieb ruhig - vier Jahre lang. Dann verfilmte Virginie Despentes ihr Buch, und das Geschrei ging los: Zwei Tage nach dem Kinostart wurde ihr Film, der nun auch im Wettbewerb des Festivals von Locarno zu sehen ist, auf Initiative eines rechts gerichteten Verbandes verboten - der erste Fall von Zensur in Frankreich seit 20 Jahren. Eine entrüstete Debatte brach los und reichte bis in die deutschen Feuilletons (siehe Tagesspiegel vom 8. Juli). Bei so viel Aufregung lohnt es sich, einmal durchzuatmen und ein Stück zurückzuspulen: Was hat Virginie Despentes da eigentlich mit 23 Jahren im Urlaub aufgeschrieben?
"Wölfe fangen" heißt ihr Debüt in der kürzlich erschienen deutschen Fassung. Wölfe - das sind Männer, und sie zu fangen geht zum Beispiel so: Manu und Nadine machen in einem Lokal einen Typen an und gehen mit ihm in ein Hotel. Er freut sich auf einen netten Dreier, doch er bekommt einen ziemlich ekligen Blow-Job. Und den Tod. Nicht nur Sex mit den beiden Frauen ist lebensgefährlich. Es reicht, ihnen etwas zu verkaufen oder zufällig im selben Café Kuchen zu essen - Manu und Nadine schießen auf jeden. Sogar ein Kind wird ihr Opfer. Die Bahn des Amoklaufs ist abzusehen. Genau wie die Pornos, die sich die beiden anschauen. Radikal und konsequent jagt eine Grausamkeit die nächste Obszönität, allerdings ohne deutliche Steigerung. Das liegt daran, dass es Despentes nicht um die einzelnen brutalen Szenen geht - dafür sind die Beschreibungen der Blutbäder zu knapp, der Blick auf den Sex zu unfetischistisch. Die Bilder wirken vor allem in ihrer Summe: als Aufschrei, der deutlich auf seinen tiefer liegenden Ursprung verweist. Und der ist unschwer auszumachen: Die Wölfe und ihre Gesellschaftsordnung sind schuld.
Das macht Despentes im sehr starken ersten Teil des Buches klar, in dem sie Nadine und Manu in ihren jeweiligen Milieus skizziert. Beide haben sich so lange prostituiert und so viel eingesteckt, dass die Erniedrigung zu ihrer Existenzform geworden ist - erträglich nur durch Alkohol und Drogen. Das phallische Prinzip ließ ihnen keine Wahl. Mit den Waffen haben sich die Frauen selber eines Phallus bemächtigt. Dass dies nur auf (selbst-)zerstörerische Weise geht, ist der schockierende Punkt. Vom Postfeminismus will Virginie Despentes nichts wissen.
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